Eine kleine Ode an Italien

Die letzten zehn Tage radelte ich mehrheitlich durch Teile des Piemonts, der Lombardei und der Provinz Emilia-Romagna. Zum Glück hatte ich vor dem Start ein paar Stunden für die Routenwahl investiert. Die Route ging durch endlose Weizenfelder und schmucke Städtchen mit viel Patina, ein paarmal auch durch Siedlungsbrei, grau und hässlich. Meistens war ich auf Nebenstrassen unterwegs, was wenig Verkehr und mehr Höhenmeter bedeutete, aber viel mehr Ruhe und Genuss brachte. Der Flow kam – täglich!

Der pralle Sommer begleitete mich von Domodossola bis vor Ancona. (Am elften Tag pausierte ich in Senigallia, und dann regnete es sanft.) Und noch etwas war allgegenwärtig: die Fröhlichkeit und Gelassenheit der Menschen, denen ich begegnet bin, in den Gasthöfen, auf dem Markt, im Lebensmittelladen oder, wie gerade vorhin, auf der Post, als ich ein Paket aufgab, was für sich alleine ein amüsantes Posting abgäbe. Damit wäre auch geklärt, dass ich die Triage doch noch gemacht habe.

Ich erinnere mich an keinen einzigen Raser, in unübersichtlichen Situationen waren die Automobilistinnen und Lastwagenfahrer rücksichtsvoll, nur einmal, in einem Kreisel, wurde mir der Vortritt verweigert. Ich war überrascht, wie viele gute Radwege es gibt. In Bologna beispielsweise führt eine Spur bis fast ins Stadtzentrum, ohne dass ich etwas vom übrigen Verkehr bemerkt hätte.

Und dann das Essen, amici: DAS ESSEN! In den letzten zehn Tagen habe ich und gut und viel gegessen. Die italienische Küche gilt zwar nicht als «haute cuisine», sie ist dafür währschaft und mit Liebe zubereitet – darum geht’s. Teil des Erfolgs ist das Personal: Die Leute im Service lieben, was sie tun. Ich erlebte sie als aufmerksam, charmant und umsichtig, und ja, sie wussten intuitiv um meinen süssen Zahn. Selten kam ich ohne Dolci davon – was soll’s, nach einer halben Stunde im Sattel ist der Zucker wieder weggestrampelt!

Zwei kurze Geschichten will ich euch nicht vorenthalten. Sie sind mitverantwortlich dafür, dass ich diese kleinen Ode an Italien schreibe und mit etwas Wehmut die Fähre über die Adria nach Kroatien nehme.

Das Wasserbidon ist leer, der Magen hat zu knurren begonnen, ich komme in der Bruthitze kaum noch voran. Als stoppe ich beim nächstbesten Restaurant und stelle «Yellow Jeff» in den Schatten eines 28-Tönners. Unter dem Vordach sitzen Männer in Unterhemden vor grossen Portionen. Sie schwatzen und alle scheinen sich zu kennen – benvenuti in der Lastwägeler-Beiz.

Kaum habe ich bestellt, will der Chauffeur nebenan etwas über mein Velo wissen. Die anderen hören zu, und dann geht es los mit ihren Fragen: Woher? Wohin? Warum? Ob das denn Ferien seien? Ich muss mich konzentrieren und bringe viele Antworten nur radebrechend hin, zuweilen hilft der Unterbau in Spanisch. Die Italiener stört das nicht, sie haben ein echtes Interesse an diesem ciclista aus der Schweiz. Aber irgendeinmal ist auch die zweite Runde Kaffee durch, sie stehen auf, klopfen mir mit ihren Pranken auf die Schultern und verabschieden sich wie alte Bekannte.

Sie hat kein italienisches Blut und ursprünglich einen anderen Namen

Vera hat dunkle Locken, Pfiff und ein offenes Antlitz. In ihren Adern fliesst kein italienisches Blut und sie hatte ursprünglich einen anderen Namen. Sie ist sich bewusst, dass niemand auf sie gewartet hat und sie mehr leisten muss als andere, um mit ihren Leben voranzukommen. Viel mehr.

Sie hat einen Job und vermietet nebenher ihre Wohnung auf der Plattform von AirBnB, um den Lohn aufzubessern. Das Geschäftliche wickelt Vera effizient und zugleich herzlich ab. Ihre Wohnung hat sie mit wenig Geld, aber viel Geschmack eingerichtet. Überall stehen Blumen – echte Blumen, währenddessen es in den meisten anderen AiBnB solche aus Plastik hat! –, und es riecht nach Sonne. Die Schranktüren in der Küche sind aus Schiefer, so dass sich die Gäste mit Kreide kreativ austoben können – und das taten sie! (Ich Dösel fand das so cool, dass ich die Werke zu fotografieren vergass.) Ihre Wohnung ist wie ein richtiges Zuhause. Wenn Vera Touristen beherbergt, schläft sie bei Bekannten. Veras Geschichte ist diejenige vieler Migrantinnen in Italien.

PS:
Damit ich doch noch etwas kritisiere: Zwei Sachen können sie nicht in Italien: Frühstück und Salatsauce.

6 thoughts on “Eine kleine Ode an Italien

  • 1. Juni 2022 at 12:43
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    Hallo Mark
    Schön zu hören, dass du es dir gut gehen lässt. Bitte check doch den Link auf deinen Instagramm-Bildern. Bei mir funktioniert er nicht.😉
    Gruss und gutes Weiterradeln!
    Patrick

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    • 2. Juni 2022 at 9:10
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      Hoi Parick,

      ich stehe auf dem Schlauch, ha! Meines Wissens kann man direkt auf Insta-Bildern keine Links setzen. Aber vielleicht hat sich das geändert.

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  • 1. Juni 2022 at 19:26
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    Wunderbar, deinen Bericht zu lesen. Mit dem Essen bin ich ganz bei dir und kenne dieses Gefühl, mit Passion bekocht und bewirtet zu werden.
    Dir weiterhin gute Fahrt und auch schöne Begegnungen in Kroatien.

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    • 2. Juni 2022 at 9:11
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      Danke, liebe Renate. Du bist quasi doppelt dabei. Mit deinem «Chi», an dem ich festhalte und immer nur ganz kleine Mengen brauche. So reicht’s weit in den Osten.

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  • 3. Juni 2022 at 12:54
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    Lieber Mark

    Super, Deine Berichte! Die italienische Küche ist vielleicht nicht “haute-cuisine”, aber wir lieben sie, weil sie echt ist. Und meist nur mit natürlichen Zutaten wie bei der Nonna. Übrigens: die Italiener waren immer schon Pioniere in Bio, schon als man bei uns noch gar nicht wusste, was das war.
    Weiterhin viel Freude beim Strampeln!
    Liebe Grüsse, Peter

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    • 9. Juni 2022 at 10:42
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      Danke doppelt, lieber Peter.

      Pioniere in Bio – das ist aus subjektiver Sicht etwas dran. Meine Eltern investierten einen beachtlichen Teil ihrer Freizeit in einen riesigen Schrebergarten. Kartoffeln, Lauch, Fenchel, Erd- und Himbeeren, usw., alles wuchs am Ufer der Aare, es wuchs gut und giftfrei. So konnten wir uns zu 50 bis 80 Prozent selber versorgen.

      Die Nachbarn im Schrebergarten kamen aus Italien, Griechenland, Spanien oder Jugoslawien, einer sogar aus Russland. Was sie alle verband, war das Interesse und die Sorge an dem, was gezogen wurde.

      Der Kampf gegen die Schädlinge war aufwändig, aber nur in seltenen Fällen wurden Schneckenkörner ausgebracht, glaubt mein Langzeitgedächtnis zu wissen. Ich bin also tatsächlich ein Bio-Kind.

      Ich mochte es, Kartoffeln auszuhacken und hasste es, Johannisbeeren («Meertrübeli») zu ernten. Es dauerte jeweils ewig, bis das Milchkesseli voll war. Ich kannte ein paar Tricks, was das Leiden verkürzte dafür eine Schelte der Mutter einbrachte, aber das ist eine andere Geschichte.

      Übrigens, das «OhneWörterBuch», das du mir vor ein paar Monaten geschenkt hast, hilft mir immer mal wieder bei der Kommunikation. Und zuweilen sorgt es für Lacher. Danke!

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