Am Ende der Wahlschlacht in den USA

trumpxclintonx766xclintontrump_health-1024x576

Rund 140 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner dürfen heute bestimmen, wer Präsident oder Präsidentin ihres Landes wird. Vieles deutet darauf hin, dass die Wahlbeteiligung unter die 50-Prozent-Marke fällt. 2012 betrug sie gerade noch 53,6 Prozent. Der apokalyptisch geführte Wahlkampf hat bei vielen Menschen im seit Jahren zerrissenen Land zu einem Overkill geführt. In den hart umkämpften Swing States sind sie der Bombardements an Radio- und TV-Spots, Lügen und Social-Media-Lärm, aber auch der Pseudo- und Breaking News überdrüssig; die täglichen Telefonanrufe und Besuche an der Haustüre, das die zahllosen freiwilligen Helfer systematisch betreiben, nerven gewaltig. Heute ist die Schlacht zu Ende – vielleicht.

Für den Präsidentschaftswahlkampf 2012 wurden mehr als 2 Milliarden Dollar aufgewendet; diese Summe dürfte nun beim Duell Trump vs. Clinton noch einmal überboten werden. „Big Money“ höhlt die amerikanische Politik schon seit Jahrzehnten aus, wer Partikularinteressen durchsetzen will, sichert sich mit grosszügigen Spenden die Loyalität von Gouverneuren, Senatorinnen und Mitgliedern des Repräsentantenhauses. Mehr als die Hälfte aller Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind inzwischen selber Millionäre.

Wie sich Wahlkampfspenden auswirken, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 1992: Die Exil-Kubaner in Miami steuerten mehrere Millionen Dollar an Bill Clintons Kampagne bei. Der Gliedstaat Florida ist mit 27 Wahlmännern (2016: 29) einer der grössten Swing States, Clinton konnte ihn dank den Stimmen der Latinos gewinnen. Als Präsident verzichtete er während seiner achtjährigen Amtszeit darauf, das Wirtschaftsembargo gegen Kuba aufzuheben. Wäre er unabhängig gewesen, hätte er es in der Hand gehabt, die Not der kubanischen Bevölkerung zu lindern und einen sanften „Change“ herbeizuführen.

Schon im letzten Sommer hatte gemäss Umfragen eine Mehrheit der Amerikaner den Wahlkampf satt. Seine gnadenlose Härte, die sich mit den eigenen Problemen vermengt, verstärkt die Politikverdrossenheit. Die Ablehnung hat auch mit den beiden verbliebenen Kandidierenden zu tun: Sowohl Hillary Clinton wie Donald Trump sind Spaltpilze, ja regelrechte Hassfiguren.

usaxgespaltenxflaggexhimmelx766x29003466_0

Während Jahrzehnten lautete vor Präsidentschaftswahlen die wichtigste Frage, welche sich die Amerikaner immer stellten:

Would you buy a used car from this man?

Glaubwürdigkeit war ein zentraler Faktor für den Wahlerfolg. Vor vier Jahren strauchelte Herausforderer Mitt Romney, weil er in der Wahrnehmung der Amerikaner ein dubioser Geschäftsmann blieb. Dieses Mal trauen sie weder dem Republikaner noch der Demokratin, die im Finale stehen, über den Weg. Hillary Clinton bringt zwar alles mit, was es für eine gute Präsidentin brauchte. Aber sie ist eine schlechte Wahlkämpferin, das Bad in der Menge will ihr nicht gelingen, bei keinem ihrer Auftritte wirkt sie authentisch. Für den grössten Malus kann sie nichts: Sie ist eine Frau. Viele Amerikaner – auch solche weiblichen Geschlechts! – finden, dass eine Frau im „Oval Office“ nichts zu suchen hat – Welcome to the 21th Century, America!

Trump, der cholerische Kotzbrocken und Despot, schaffte die Nomination aus zwei Gründen:

1.  Weil die Republikanische Partei versagte.
Die Mächtigen in der Grand Old Party (GOP) unterschätzten Trump lange Zeit. Als Aussenseiter gestartet, konnte er in den Vorwahlen schliesslich alle Kontrahenten schlagen. Am Parteitag der Republikaner in Cleveland (Ohio) gab es zwar Scharmützel, die Nomination von Trump konnte aber niemand mehr verhindern, ohne den grossen Bruch zu riskieren. Die Ereignisse der letzten Monate haben aber weiterhin das Potenzial, die GOP zu sprengen. Es ist gut möglich, dass zwei neue Parteien entstehen.

Schon bei der Entstehung der Tea-Party-Bewegung 2009 zeigte die Republikanische Partei strategische Schwächen. Sie ging davon aus, vom kräftigen Wind am rechten Rand zu profitieren. Die Bewegung war aber bald nicht nur laut, sondern auch finanzkräftig (sie wird unterstützt von den beiden milliardenschweren Koch-Brüdern Charles und David), hatte schnell einen grossen Zulauf, verstärkte ihren Einfluss innerhalb der Partei und brüskierte damit moderate Kräfte.

2.  Weil Angst, Wut und Frustration das Land gespalten haben.
Die Spaltung des Landes begann schon in den Achtzigerjahren, als Ronald Reagan die Ausgaben für die Rüstung massiv erhöhte und gleichzeitig die Kosten für Soziales herunterfuhr. Kelly Nyks, den ich vor drei Jahren traf, hat das in seinem Dokumentarfilm „Split – a deeper Divide“ gut nachgezeichnet. 47 Millionen Amerikaner – jeder siebte im Land – ist heute auf Essensmarken angewiesen, die Arbeitslosigkeit beträgt zurzeit offiziell 5,0 Prozent, laut unabhängigen Quellen und ohne statistische Tricks (Langzeitarbeitslose) liegt sie hingegen bei gegen 20 Prozent.

Als 2006 die Immobilienblase platzte, verloren Millionen von Leuten, die dem Mittelstand zugeordnet werden konnten, ihr Hab und Gut. Die Finanzkrise, die daraus resultierte, radierte eine grosse Anzahl Jobs aus und der Staat musste viele Banken und Versicherungen vor dem Konkurs bewahren. So erhielt beispielsweise die AIG, weltweit der grösste Versicherungskonzern, von der US-Notenbank einen Kredit in Höhe von 85 Milliarden Dollar. Die Rettungsaktionen verschlangen viel, viel Geld – Steuergeld.

usaxwaffenxstarbucksxstats

Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 (9/11) in New York und Washington ist die Angst in den USA allgegenwärtig. Das Geschäft mit der Sicherheit boomt, so gibt es heute sechsmal mehr Waffengeschäfte als Starbucks-Filialen (siehe Grafik oben) – mit den bekannten Folgen.

Angst, Arbeitslosigkeit und der Mangel an Perspektiven haben die USA immer tiefer gespalten; Wut und Verachtung branden der politischen Klasse entgegen. So konnte Trump überhaupt erst Präsidentschaftskandidat werden. Er ist die Frucht einer unheilvollen Entwicklung. Bleibt er auf der Strecke, atmen die Wallstreet und die restliche Welt auf. In den USA ist deswegen noch kein einziges Problem gelöst. Verhasst wie Hillary Clinton ist, wird sie es auch als Präsidentin nicht schaffen, das gespaltene Land wieder zu vereinen.

Amerika muss nicht “great again” gemacht werden. Viel wichtiger wäre: Make America sane again – gesund.

 

We are not afraid – wir bleiben frei!

Die Terror-Anschläge von Paris und Beirut haben mich mit 24 Stunden Verzögerung unvermittelt zu Boden geworfen, seit Samstagabend schmerzt mein Körper. Ich bin sprachlos, also schreibe ich die Gedanken nieder, die mir durch den Kopf schiessen. Sie müssen raus, und nein, das wird für einmal keine luftig-leichte Geschichte.

paris_beirut_kerze_large_IMG_1670
Weit nach Mitternacht, der Bundesplatz in Bern ist leer und verlassen, Hunderte von Kerzen flackern im Dunkeln, viele davon schwächlich, irgendwo mache ich die Form eines Herzens aus – Zeugen der Solidarität. Stille. Das Bild, das sich hier präsentiert, beruhigt. Trotzdem hat es etwas Gespenstiges.

Unvermittelt rücken andere Bilder in den Vordergrund: Vor elf Jahren wurde dieser Platz eingeweiht, an einem herrlich warmen Abend im August wars. Nach den Konzerten installierte sich ein DJ auf der Bühne und legte los. Hunderte von Menschen feierten bis tief in die Nacht hinein. Ein Silberfuchs, etwas steif in den Hüften, tanzte neben Teenagern, Asiatinnen auf der Durchreise neben einem stadtbekannten SVP-Mitglied, Korpulentere neben Schlaksigen, Leute mit teuren Markenkleidern neben solchen mit ausgetragenen Klamotten. Das Set war grandios, die Stimmung ausgelassen, in den Gesichtern widerspiegelte sich Fröhlichkeit.

Wir stehen vor einem neuen Krieg gegen „das Böse“. Der französische Präsident François Hollande braucht martialische Worte, er kann gar nicht anders, sonst ist er politisch erledigt. Die Schläge gegen Terrorzellen in Syrien, Jemen, Irak und anderswo werden Unsummen verschlingen. Bei Lichte betrachtet kann sich Frankreich diesen Krieg gar nicht leisten, schlingert es doch wirtschaftlich schon seit vielen Jahren gefährlich. Und wenn schon: Anderswo wäre dieses Geld besser investiert. In den Banlieus der französischen Grossstädte hocken zahllose Junge, es sind Kinder und Grosskinder von Migranten aus dem Maghreb und anderen arabischen Ländern, ohne Job, ohne Perspektiven. Ihre Tage sind unendlich lang und langweilig. Das bildet den Nährboden für ihre Radikalisierung. Hunderte von ihnen wurden Dschihadisten, kämpften im Irak und in Syrien und leben nun wieder in Frankreich oder Brüssel.

Die Vergeltungsschläge werden das Gegenteil von dem bewirken, was die hilflosen Politiker versprechen. Die jüngste Geschichte zeigt es in gnadenloser Klarheit: Die Operationen gegen die „Achse des Bösen“, welche die USA und ihre Verbündeten seit 9/11 führen, haben den Nahen und Mittleren Osten destabilisiert, der Bevölkerung im Irak geht es heute schlechter als zu Saddam Husseins Zeiten, nach dessen Sturz wuchs wegen des Machtvakuums die Terrormiliz des sogenannten „Islamischen Staats“ heran, auch Afghanistan ist in einen hoffnungslosen Strudel geraten. Laut Kollegen, die dort arbeiteten, haben die „Internationals“ trotz starker Präsenz und zig Milliarden nichts zustande gebracht. Kein Wunder, sind viele Menschen nur noch von einem Gedanken beseelt: Sie wollen weg, koste es, was es wolle. Viele ziehen Richtung Europa los. Seit ein Dschihadist auf der Balkanroute geortet wurde, stehen alle Flüchtlinge unter dem Generalverdacht, Terroristen zu sein. Scharfmacher vergiften das Klima, der Hass gedeiht, die Auftragsbücher der Rüstungskonzerne füllen sich, die Gewaltspirale dreht sich stetig, Parteien, die Probleme bewirtschaften statt angehen, werden weiter Zulauf haben.

Wenn nachts die Banden und die Angst regieren

Mehr als ein Jahr lang bereiste ich Lateinamerika, eine Phase, die mich reich mit Begegnungen und Erfahrungen beschenkte. Viele Städte sind dort nachts wie leergefegt, wer sich dann bewegen muss, nimmt ein Taxi. Ich erinnere mich an Santa Ana in El Salvador: Beim Einchecken in einer Posada erklärte mit der Besitzer, ein Hüne von einem Mann, was Sache ist: „Nach 20 Uhr öffne ich die Eingangstüre nicht mehr, wenn du zu spät bist, kannst du rufen und klopfen wie du willst, es ist mir egal. Santa Ana ist tagsüber eine hübsche Stadt, nachts regieren die Banden in den Strassen. Wer dann noch draussen ist, riskiert sein Leben.“

Ich entgegnete: „Und weshalb kämpft ihr nicht dagegen an? Macht Demonstrationen, immer am selben Wochentag, abends, dann, wenn es gefährlich wird. Wenn Hunderte von Menschen durch die Strassen ziehen, sind sie sicher und ziehen noch mehr Leute an. Das wäre ein starkes Signal und ihr lockert schliesslich sogar das Korsett, abends festzusitzen.“

Der Hüne blickte mich lange schweigend an. „Gringo“, sagte er schliesslich, „du vergisst etwas: Wir haben Angst, grosse Angst.“

In vielen Städten Lateinamerikas konnte sich die Angst festsetzen. Das darf in Europa nicht passieren, wir müssen sie so schnell als möglich überwinden, die Normalität zurückgewinnen, an Konzerte und in Fussballstadien gehen, tanzen. „We are not afraid.“ Wir sind frei und leben in aufgeklärten Ländern.

Den Brandstiftern unter uns treten wir anständig, aber resolut entgegen. Die Solidaritätsbekundungen der letzten 48 Stunden waren der Anfang. Und so soll es weitergehen: Dabei ist unser Tun geprägt von Respekt, Toleranz und Menschlichkeit. Jetzt erst recht. Mit Gutmenschentum hat das nichts zu tun.

So, jetzt geht es mir wieder besser.


Weitere Texte zum Thema:

Scharfmacher predigen noch mehr Gewalt (Heiner Flassbeck, Watson, 17.11.2015)
Der Mann, der in Paris seine Frau verlor (Martina Meister, Tages-Anzeiger, 10.05.2016)