Wenn Richard erzählt, lohnt es sich zuzuhören. Er erzählt gerne und gut über das Leben, die Liebe, Bücher. Und er hat auch eine Ahnung vom Radfahren, oft macht er selber Touren.
Als ich Richard um Tipps für meine Velotour in den Norden bat, sagte er zuerst nur ein Wort – beschwörend: „Assos“. Nach einer Kunstpause schob er nach: „Assos ist das Mass aller Dinge!“ Für Nicht-Velofahrer: Assos sind Radhosen, laut Richard sehr gut verarbeitet, sie wärmen vorne, dort, wo der bissig-kalte Wind heftig hinwehen kann, sie sitzen hauteng und sind hinter besser gepolstert als alle anderen Marken. Auf die Füdlecrème darf man dennoch nicht verzichten.
Also mache ich mich auf, um diese Wunderhose zu testen – im Wankdorf-Center, im Westside und in drei Geschäften in Berns Zentrum – überall Fehlanzeige. Alle haben ihr Sortiment längst auf den Sommer ausgerichtet und bieten nur noch kurze Radhosen an.
Im sechsten Sportgeschäft klappt es endlich: Es führt Assos lang. Der Verkäufer, ein kleiner drahtiger Mann mit stahlblauen Augen und ohne Brauen, guckt mich gelangweilt-dumpf an. In seinem Gesicht steht, was er nicht sagt: „Schon wieder so einer, der bei uns Kleider probiert und sie dann günstiger online bestellt.“
In mir steigt Ärger auf. Ich schüttle den Kopf und sage laut: „Nein, ich gehöre nicht zu dieser Kategorie. Gute Beratung darf etwas kosten!“ Das Wort g-u-t betone ich leicht. Die Miene des Verkäufers hellt sich nicht auf.
Es ist ein Kraftakt, in diese Assos-Hose zu steigen. Von wegen eng – sie ist extrem eng! Das Material fühlt sich auf der Haut unangenehm an, es zwickt an den Testikel und die Träger drücken. Das Bild, das ich im Spiegel abgebe, ist kläglich. Die dünnen Beine sind noch dünner. Okay, alle Männer in Radhosen sehen lächerlich aus.
Ich werde nicht warm mit diesem schwarzen Stück Textil, lege es wieder hin und wende mich zum Gehen. Ich grüsse beim Ausgang, der Nicht-Verkäufer lässt es bleiben. „Wart nur!“, knurre ich leise als ich draussen bin.
Zu Hause ziehe ich meine Radhosen mit Dreiviertel-Länge an, braue einen Chai, setze mich entspannt vor den Mac und gebe bei Google ein paar Suchbegriffe ein. Schliesslich bestelle ich Beinlinge – online. Die stille Rache fühlt sich gut an.
P.S.
Für Nicht-Sachverständige: Beinlinge sind wie Stockings. Allerdings sind Material und Verarbeitung nicht ganz so edel, wie Figura zeigt: