Genüsslich beisse ich in die Kirschenwähe der legendären Bäckerei Fürst (echte Berner sagen: “Chueche“), ein laues Lüftchen bläst mir ins Gesicht, die Sonnenstrahlen tanzen, es ist wunderbar still. Vor ein paar Minuten bin ich der Aare entstiegen, wo ich den murmelnden Steinchen zuhörte, der Körper fühlt sich angenehm frisch an, die Haut riecht nach Sonne, Sonnencrème und Flusswasser – mein „Marzili“-Ritual an Tagen wie diesen.
Plötzlich ertönt eine weibliche Stimme aus dem Nichts:
„Allo, kann misch jemand ören?“
Ich blicke um mich, entdecke aber niemanden. Höre ich schon Stimmen in meinem Kopf?, frage ich mich besorgt. Da – wieder:
„Allo, kann misch jemand ören?“
Ein Klopfen gegen Holz ertönt. Mir geht ein Licht auf, jemand muss eingeschlossen sein. Ich lasse den angenehm-kühlen Schatten hinter mir und gehe zügigen Schrittes der Stimme nach zu den Einzelgarderoben. Nr. 124 vibriert leicht unter den Schlägen, ein Schlüssel steckt.
Nun muss man wissen, dass im ältesten Freibad der Schweiz auch die Einzelgarderoben in die Jahre gekommen sind. Wind und Wetter haben die Holztüren stark gezeichnet, die Schlösser lottern. Wer den Schlüssel draussen stecken lässt, die Türe hinter sich zudrückt und sie von innen verriegelt, ist eingeschlossen, “rien ne va plus” – wie ein Naturgesetz. Ich muss es wissen, weil ich in der dritten Saison stolzer Mieter einer Einzelgarderobe bin. (Acht Jahre lang war ich auf der Warteliste.)
Doch zurück zur Frauenstimme aus dem Nichts.
„Ich mache Ihnen jetzt die Türe auf“, rufe ich. „Sind Sie angezogen?“
„Ja.“
Ich drehe den Schlüssel um vielleicht 20 Grad und die verwitterte Türe schwingt auf. Eine blonde Frau mittleren Alters tritt heraus, die Erleichterung ist ihr ins Gesicht geschrieben.
„Combien de temps avez-vous passé là?“ frage ich sie mit meinem Schulfranzösisch.
„Dix minutes. Aber isch abe einer Freundin telefoniert. Merci!”
Ich grinse: „De rien. Ich war einmal Pfadfinder!“
Sie verschwindet wieder in ihrer Kabine, dieses Mal mit dem Schlüssel.
Hätte Madame mich zum Dank zu einer Glace in die “Gelateria di Berna” (echte Bernerinnen sagen: “es Tschelati”) eingeladen, wüsste sie jetzt, was ich Ihnen/euch gestehe: dass ich mich schon zweimal in meiner Kabine eingeschlossen habe. Dabei musste ich viel länger warten als “Madame Allo”.