Der Siegeszug der Tech-Milliardäre

Kein anderer Mensch auf diesem Planeten wird mehr gehasst als Donald Trump. Trotzdem wurde er gestern zum neuen US-Präsidenten gewählt. Sprüche wie «Nur die dümmsten Kälber wählen ihren Metzger selbst», greifen zu kurz. Gesichert ist allerdings, dass es in den USA einerseits  sogenannte «News-Wüsten» gibt und viele Menschen sich andererseits nicht mehr bei etablierten Medien, die einen Anspruch auf Ausgewogenheit haben, informieren.

Es ist ein Wahlsieg mit Ansage: Kamala Harris war dreieinhalb Jahre lang eine farblose Vizepräsidentin, dreieinhalb Monate lang war sie eine überzeugende Wahlkämpferin. Das reicht nicht.

Für zahllose Amerikanerinnen und Amerikaner ist die eigene ökonomische Situation entscheidend, wem sie die Stimme geben. Die Wahlforschung nennt das Rational Choice. In den letzten Jahren war die Inflation hoch, Lebensmittel und Benzin wurden markant teurer. Dafür machen sie die Administration Biden verantwortlich. Im Vergleich dazu waren für sie die Trump-Jahre (2017 bis 2020) besser – und damals gab es keinen Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten.

Trump ist befähigt, jeden Tag aus einer Laune heraus Fehlentscheidungen zu treffen, unflätig zu sein, Minderheiten an den Pranger zu stellen, und Leute, die ihm nicht gewogen sind, zu verfolgen. Wir haben vier Jahre lang Halloween vor uns.

Ähnlich gefährlich ist, wie sich das Mediensystem verändern wird. Dass Bots und Troll-Fabriken bei Wahlen systematisch mitmischen, haben wir die letzten acht Jahre mitbekommen. Dass Tech-Plattformen wie Facebook & Co. zu Hass-Schleudern wurden, wissen wir. Doch das war erst der Anfang.

In den letzten Monaten spendete X-Chef Elon Musk 119 Millionen Dollar an die Trump-Kampagne. Musk ist nicht nur ein durchgeknalltes Genie, er will für seinen monetären Einsatz ein Payback, und er wird es kriegen.

Trump hält die nächsten zwei Jahre in beiden Kammern die Mehrheit, Gesetze kann er so zügig durchbringen. Er will die Unternehmenssteuern senken, den US-Markt mit hohen Zöllen schützen und der Binnenwirtschaft alle Freiheiten geben. Das kommt den libertären Tech-Milliardären entgegen. Sie haben eine Agenda, um noch mehr Geld zu verdienen und ihre Überzeugungen ins breite Publikum zu träufeln.

Tech-Konzerne sollte man endlich als Medien einstufen, dann müssten sie sich an dieselben Regeln halten und beispielsweise die Inhalte nach redaktionellen Kriterien filtern.

Einer dieser Tech-Milliardäre ist Peter Thiel, der seine Anfänge bei PayPal machte und als libertärer Politaktivist auffällt. JD Vance, der neue Vizepräsident, kommt aus seinem Dunstkreis. Sie wollen die Gesellschaft in ihrem Sinne beeinflussen.

Vance ist im Gegensatz zu Trump kein Egomane, sondern ein kluger Kopf. Es ist aufgelegt, dass er Trump dereinst beerben wird. Mit der Macht der Tech-Plattformen geht das einfacher, weil diese erdrückend ist. Übrigens weltweit. Die Tech-Plattformen entziehen dem Journalismus immer mehr Geld und bringen ihn mit ihrer Form der «Information» noch mehr unter Druck.

In der Schweiz geben inzwischen 46 Prozent der Bevölkerung an, newsdepriviert zu sein, d.h. sie haben sich weitgehend vom politischen und gesellschaftlichen Diskurs abgekoppelt. Aber: Sie konsumieren weiterhin Social Media. Da kommen üble Zeiten mit noch mehr Fake-News und systematischer Desinformation auf uns zu. Dabei bleiben, Leute! Dagegenhalten! Und glaubwürdige etablierte Medien abonnieren!

Weshalb ein Ja zum Medienpaket besser ist


Je näher der Abstimmungstermin
 zum Mediengesetz rückt, desto mehr steigt der Lärmpegel. So brüllten sich im letzten «Club» von SRF drei Protagonisten von Anfang bis am Schluss immer wieder an. Sie erinnerten an Halbstarke im Schulhof, die Moderatorin versagte. Eine bizarre Sendung.

Ich will ein paar Punkte klären.

Zunächst, wo liegt die Wurzel des Problems? In den letzten 14 Jahren sind die Werbeeinnahmen der Zeitungen um 75 Prozent eingebrochen. Das ist dramatisch. Weit mehr als eine Milliarde Franken fliessen inzwischen pro Jahr zu den Tech-Giganten Facebook und Google, ohne dass sie hier Steuern bezahlen würden.

Das Massnahmenpaket zugunsten der Medien stabilisiert die Branche und kostet maximal 151 Millionen Franken pro Jahr. 70 Millionen davon gehen direkt an die Post, weil sie für die Zustellung der Zeitungen sorgt.

Das Medienpaket besteht aus insgesamt neun verschiedenen Teilen. Ausgesprochen wichtig ist, dass der Presserat, aber auch die Aus- und Weiterbildung im Nachrichtenjournalismus gestärkt werden. Darüber wurde im Verlauf des Abstimmungskampfes noch kaum ein Wort verloren.

Es geht bei der Abstimmung vom 13. Februar auch darum, kleine unabhängige Medienhäuser zu stärken, die Zeitungen herausgeben wie das «Bieler Tagblatt», die «Neue Fricktaler Zeitung», «Die Botschaft» (unteres Aaretal), die «Schaffhauser Nachrichten», den «Rheintaler», die zweisprachige «Engadiner Post», den «Corriere del Ticino», den «Walliser Boten», die «Freiburger Nachrichten» oder das «Journal Du Jura».

Diese Titel liefern die mediale Grundversorgung, gedruckt und online, aus der Region, für die Region, unspektakulär und nahe bei den Menschen.

Dass die grössten Medienhäuser ebenfalls profitieren, ist die Kröte, die wir schlucken sollten. Das Modell ist degressiv ausgestaltet, d.h. Zeitungen mit einer grossen Auflage kriegen pro Exemplar weniger Geld als Kleine. Die Kleinen profitieren überproportional von der indirekten Presseförderung. Diese wurde übrigens bereits 1849 von den Freisinnigen im Postgesetz festgeschrieben.

Dass im Sog der «Republik» neue Online-Medien entstehen, ist erfreulich und stärkt die Medienvielfalt. Die Anschubfinanzierung ist auf höchstens 30 Millionen Franken pro Jahr limitiert. Das Geld wird nicht mit der Giesskanne verteilt. Vielmehr ist die Höhe der Unterstützung abhängig von den Einnahmen, die jeder Start-up aus eigener Kraft generiert. Mit einem Ja können sich die neuen Online-Medien, etwa die «Hauptstadt» in Bern, eher etablieren. Ihre direkte Förderung ist auf sieben Jahre beschränkt.

Fazit: Das Massnahmenpaket überzeugt nicht in allen Teilen, aber ein Ja ist besser für die darbenden Medienhäuser und die Menschen ausserhalb der grossen Ballungsräume. Nach einem langen Prozess des Abwägens habe ich mich entschlossen, Ja zu stimmen.

Bei einem Nein gewinnen die Kreise, die jetzt laut «Staatsmedien!» rufen, aber kein Problem haben damit, wenn private Financiers mit einer (verdeckten) politischen Agenda einsteigen. Auf dieser Agenda steht die Halbierungsinitiative aus dem Stall der SVP-Millonarios.

PS:
– Wer beim Abstimmen noch unschlüssig ist: Die Bewegung Courage Civil hat eine neutrale Herleitung zum Thema erarbeitet, die erst am Schluss in eine Empfehlung mündet. Dazu gibt’s dort einige weiterführende Links.
– Ein beachtlicher Teil der Nein-Kampagne wird mit dem Schlagwort «Staatsmedien» bestritten. Es ist ideologisch aufgeladen, beim näheren Hinsehen allerdings irreführend. Matthias Zehnder, auch er ein unabhängiger Beobachter der Medienszene, seziert das Thema. Es sind gut investierte acht Minuten, die es für die Lektüre seiner Analyse braucht.

Auf dem Medienplatz Bern entsteht Einheitsbrei

Der grösste Medienkonzern der Schweiz, die TX Group (bis 2020: Tamedia), will in Bern nun also auch noch die bislang eigenständigen Regionalredaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» komplett verschmelzen. Der identische Inhalt soll in beiden Titeln in ihren altbekannten Layouts verbreitet werden. Der Fusionsprozess beginnt im April nächsten Jahres. Auf dem Medienplatz Bern entsteht damit ein Monopol. Demokratiepolitisch ist das problematisch.

Zunächst ein paar Fakten und Zusammenhänge:

– In den letzten fünf Jahren hat die TX Group (früher Tamedia) einen Reingewinn von 852 Millionen Franken erwirtschaftet und Dividenden in der Höhe von 225 Mio. Franken ausgeschüttet (für die Geschäftsjahre 2015 bis 2019). Das freute die Aktionäre und das Management, welches zum Teil fette Boni erhielt.

– Im Frühling beantragte die TX Group Kurzarbeit. Trotz Kritik im Vorfeld der GV wurde an einer Dividende in derselbe Höhe wie in den Vorjahren festgehalten, auch Boni wurden ausbezahlt. Auf nationaler Ebene ist seit Jahren ein intensives Lobbying für staatliche Unterstützung der grossen Medienhäuser im Gang.

– In den letzten Jahren wurde die ohnehin schon schwach dotierten Regionalredaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» weiter schleichend ausgedünnt (z.B. einige Abgänge nicht ersetzt). Schon im Sommer 2017 hatte ich vor der kompletten Fusion gewarnt.

– Eine Befragung von 4000 Abonnentinnen und Abonnenten, die wir 2009 seitens des Komitees «Rettet den Bund»  durchgeführt hatten, zeigte auf, dass das Ressort Bern für sie am wichtigsten ist (zusammen mit dem Ressort Inland). Die Konzernspitze foutierte sich um diesen klaren Befund.

– Dass es sich lohnt, in Personal und Qualität zu investieren zeigt das Beispiel der «Zeit». Die Wochenzeitung aus Hamburg hat heute eine grössere Auflage als vor 20 Jahren. In unserem Land konnte dieser Qualitätstitel seine Abonnentenzahl in den letzten zehn Jahren massiv erhöhen – auch dank den drei Schweiz-Seiten pro Ausgabe. Guter Journalismus ist gefragt. Er darf etwas kosten und rentiert.

– Vor vier Wochen gratulierte Verwaltungsratspräsident Pietro Supino in einem Gastbeitrag dem «Bund» zu seinem 170-Jahr-Jubiläum. Er sei stolz, diesen Titel in seinem Portfolio zu haben. Zugleich drohte er der Politik: Wenn das Medienförderungsgesetz nicht in seinem Sinne ausgestaltet werde, sei der Fortbestand des «Berner Modells» (beide Zeitungen werden unter einem Dach herausgegeben, bleiben aber publizistisch unabhängig) nicht mehr gesichert.

Meine Einschätzung: Die beinharten Medienmanager interessieren sich nicht für Publizistik. Es geht ihnen nur um Rendite. Sie glauben daran, dass diese mit knalligen Storys und vielen Clicks eingefahren werden. Unternehmungen sollen Gewinn machen, keine Frage. Allerdings zweifle ich daran, dass Journalismus gleich produziert und verkauft werden sollte wie Billig-Hundefutter.

Mit der Vollfusion von «Bund» und «Berner Zeitung» entsteht ein Einheitsbrei. Ob das die Leserinnen und Leser goutieren, ist offen. Der «Bund» bedient ein urbanes Publikum, die «Berner Zeitung» ein ländliches.

Ich bin nicht Gewerkschafter, sondern ein besorgter Staatsbürger, der seine Augen nicht vor der Realität verschliesst: Im Mediengeschäft herrscht ein intensiver Verdrängungskampf, die Auflagen der gedruckten Zeitungen sinken, die Werbeeinnahmen brechen weg, Google, Facebook und Amazon machen den grossen Reibach. Während Jahrzehnten bildeten die Rubrikeninserate für Immobilien, Autos, Stellen, käufliche und ewige Liebe das ökonomische Rückgrat für die Zeitungen. Inzwischen sind sie fast komplett ins Netz abgewandert, wo sie weniger abwerfen.

Nur: «Berner Zeitung» und «Bund» waren in den letzten Jahren wie alle anderen Titel im Tamedia-Portfolio profitabel, die Renditen gemäss Medienökonomen höher als während den goldenen Zeiten der Zeitungen ohne Internet. Einen Teil der Gewinne hätte man in die beiden Regionalredaktionen investieren können – nein, müssen! Stattdessen wurden beim «Bund» immer weiter Stellenprozente reduziert. Und bei der «Berner Zeitung» fiel die Wochenendbeilage «Zeitpunkt», während vieler Jahre ein leuchtendes Beispiel für Qualitätsjournalismus, dem Sparhammer zum Opfer.

Der Ausblick: Im Grossraum Bern mit seinen rund 350’000 Menschen hat es Platz für ein neues Online-Portal, das guten unabhängigen Journalismus bietet. Projekte in anderen Ballungsräumen zeigen, dass es durchaus Optionen gibt, etwa «Tsüri» (Zürich), «bajour» (Basel), «Die Ostschweiz» (St. Gallen) oder «ZentralPlus» (Zentralschweiz). Und auch die «Republik» kann es schaffen.

Was es jetzt braucht, sind Leute mit Knowhow, Zeit und Kapital, die ein neues Kapitel Berner Mediengeschichte schreiben wollen. Wenn es gewünscht sein sollte, koordiniere ich die ersten Schritte dafür. Vom Komitee «Rettet den Bund» her haben wir viele Adressen zur Verfügung. Das ist ein Start.

Nachtrag:
Eine ausgesprochen solide Zusammenfassung zu den Herausforderungen auf dem Medienplatz liefert Nick Lüthi in der «Medienwoche».

– Was ich Radio SRF4 News zu dieser Fusion sagte – das Interview von Medienredaktor Salvador Atasoy auf Soundcloud
(30. Oktober 2020)

– Wer beim neuen Projekt mitwirken will: Meine E-Mail-Adresse lautet: mark.balsiger@border-crossing.ch

Auf die Zivilgesellschaft ist Verlass


Der Abstimmungskampf
dauerte fünf Monate, war ausgesprochen intensiv und leider oftmals gehässig. In der Schweizer Mediendatenbank werden vom 1. Oktober letzten Jahres bis am 28. Februar rund 7500 verschiedene Artikel referenziert. Pro Tag erschienen über dieses Thema also durchschnittlich 50 Texte. Das ist rekordverdächtig. «No Billag» liess kaum jemanden kalt, die Vorlage spaltete das Land. Umso wichtiger ist das klare Resultat: Das Volk sagte mit 71,6 Prozent wuchtig Nein zur Verstümmelung bestehender Radio- und TV-Sender.

Über Monate hinweg arbeiteten sich Zehntausende von Menschen an der SRG und ihren Angestellten ab – von NZZ-Chefredaktor Eric Gujer bis zur Wutbürgerin in der hinterfinstersten Gasse in Klein-Basel. Er war eine Abrechnung, unversöhnlich, demagogisch, mitunter sogar hasserfüllt. Das Reizwort «Flüchtlinge» wurde ersetzt durch «SRG» und sie musste für alles hinhalten, am Schluss sogar für die sibirische Kälte der letzten Wochen. In ihren Kommentaren liessen allerdings auch viele «No Billag»-Gegner Anstand und Respekt vermissen.

Es gibt Parallelen zur Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative vor zwei Jahren: Auch damals machte die Zivilgesellschaft den Unterschied. (Okay, der Begriff ist die letzten Jahre sehr oft verwendet worden.) Zehntausende von Einzelpersonen haben sich erneut für ein Nein stark gemacht. Dazu kamen die Efforts von Künstlerinnen, Comedians wie Giacobbo/Müller, Schauspielern, Volksmusik- und Sportverbänden. Operation Libero ist inzwischen auf derselben Flughöhe wie die grossen Parteien, das Komitee «Nein zum Sendeschluss» wiederum konnte 1,5 Millionen Franken an Spenden generieren. Zudem erhielt es von den Kreativen unentgeltlich rund hundert Videos zur Verbreitung, viele davon waren hochwertig produziert. Die Reichweite war mit 200’000 Leuten pro Tag so gross wie nie zuvor.

Auf die Zivilgesellschaft ist also Verlass. Die Wir-Schweiz bleibt also deutlich stärker als die Gruppe von Menschen, deren immergleiche «Ich-ich-ich»-Voten wir die letzten Monate gehört haben. Sie blenden aus, das Gemeinsinn unser Land stark gemacht hat.

Die Schlacht ist geschlagen, das Wasser bleibt unruhig, die SRG geht aber gestärkt aus dieser Abstimmung hervor. Sie sollte dem Kredit, den sie mit diesem Plebiszit erhalten hat, mit Demut und Offenheit begegnen. Es muss ihr gelingen, das Gärtchendenken, das sich mit der Konvergenz noch verstärkte, zu beenden. Die Arbeit der Leute in den Online-Abteilungen ist genauso wichtig wie bei Radio und Fernsehen. Ebenso wichtig ist ein Kulturwandel: Es reicht nicht mehr, wenn die Angestellten des Rundfunks einen guten Job machen. Die Programmschaffenden müssen in einen stetigen Austausch mit dem Publikum treten, zuhören, Inputs aufnehmen und vor allem: berührbar werden. Das kann in Schulen, Beizen und bei Service Clubs passieren, in der Stadt und auf dem Land. Das hat nichts mit Anbiederung zu tun. Die «Republik» zeigt, wie dieser Dialog funktionieren soll: «Wir wollen Gastgeber sein, nicht nur digital, auch physisch.»

Die SRG hat eine privilegierte Position. Als gebührenfinanziertes Medienhaus muss sie für die Menschen in unserem Land ein Anker im Sturm sein. Das ist möglich mit überzeugenden Inhalten, mit Dialog und mit Vorgesetzten, die intern geschätzt und extern glaubwürdig und empathisch sind. Das neue Generaldirektorengespann Gilles Marchand und Ladina Heimgartner (Foto) kann diese Erwartungen hoffentlich einlösen.

Der US-Präsidentschaftskampf 2016 hat uns vor Augen geführt, wie mächtig Facebook, Algorithmen, russische Trollarmeen und Fake-News sind. Die Schweiz mit ihrer direkten Demokratie ist anfällig auf eine ähnliche Entwicklung. Umso wichtiger ist die Rolle starker und unabhängiger Medien. Fakt ist: Die privaten Medien stecken in einer tiefen Finanzierungskrise. Die Presse hat von 2011 bis 2016 satte 37 Prozent ihrer Werbeeinnahmen eingebüsst. Das ist dramatisch. Insgesamt generierten sie 2016 noch 1,26 Milliarden Franken. Zum Vergleich: Der Erlös der Online-Werbung in der Schweiz betrug 2016 bereits 1,09 Milliarden Franken. Der Löwenanteil dieser Summe fliesst zu den IT-Giganten im Silicon Valley, Apple, Amazon, Facebook und Google. Dort sitzt der Feind, nicht im Leutschenbach.

Ende der Neunzigerjahre führten die privaten Medienhäuser ohne Not die Gratiskultur ein. Damit haben sie sich selbst an die Klippen manövriert. Die Medienmanager glauben inzwischen nicht mehr daran, dass man mit Journalismus Geld verdienen kann. Entsprechend bauen sie die Portfolios um. Es geht darum, wer im kommerziellen Digitalgeschäft überlebt. Das Kerngeschäft von früher – die Information – wird dabei komplett marginalisiert. Nach 20 Jahren Gratiskultur ist die Bereitschaft, für Inhalte zu bezahlen, sehr bescheiden.

Übernahmen und Entlassungen werden auch die nächsten Jahre den Medienplatz Schweiz prägen. Das Trauerspiel um die Schweizerische Nachrichtenagentur sda ist ein aktuelles Beispiel. Umso wichtiger ist es, wenn sich das öffentliche Medienhaus SRG behaupten kann. Es hat eine Chance, wenn seine Vorgesetzten nun vieles richtigmachen.


Disclaimer:

Ich war bei dieser Volksabstimmung Kampagnenleiter des Komitees «Nein zum Sendeschluss», also Partei.

 

 

Weitere Abstimmungskommentare:

Die «Aber» der schlechten Demokraten (Matthias Zehnder, persönlicher Blog)
Die SRG kann nicht bleiben, wie sie ist (Patrick Feuz, Der Bund)
Es braucht dennoch eine SRG-Reform (Rainer Stadler, NZZ)
Was für ein Signal! (Kasper Surber, WOZ)
Volk beerdigt No Billag – Bürgerliche wursteln weiter
(Gabriel Brönnimann, Tageswoche)
Warum der No-Billag-Streit der Schweiz gut getan hat
(Jacqueline Büchi, Watson)
Nach der Schlacht ist vor der Schlacht (Dennis Bühler, Norwestschweiz)
Jubeltag für die SRG – Reformen sind dennoch nötig
(Claudia Blumer, Tages-Anzeiger)
Die Medienrevolution kommt sowieso (Dominik Feusi, Basler Zeitung)
SRG-Demut ist deplatziert (Erich Gysling, Infosperber)

Auf dem Medienplatz Bern kommt es zum Knall


Die definitive Entscheidung
fällt zwar erst nächste Woche, aber die Stossrichtung ist klar und wurde deshalb bewusst geleakt: Der Verwaltungsrat des Zürcher Medienkonzerns Tamedia wird auf dem Platz Bern Tabula rasa machen. „Berner Zeitung“ und „Der Bund“ bleiben zwar als Titel bestehen, werden aber überwiegend mit demselben Inhalt gefüllt – aus dem Kompetenzzentrum, wie das schönfärberisch genannt wird. Einzig im Lokalen/Regionalen gibt es noch unterschiedliche Themen und Gewichtungen. Vorerst.

Mit dieser Massnahme können die Kosten weiter gedrückt werden, viele Journalistinnen und IT-Fachleute verlieren ihre Jobs. Erinnerungen an das Mai-Massaker im Jahr 2009 werden wach, als Tamedia 79 Vollzeitstellen strich und viele langjährige Redaktoren, die die Marke “Tages-Anzeiger” zum Glänzen gebracht hatten, auf die Strasse stellte.

„Berner Zeitung“ und „Bund“ unterscheiden sich stark, was Auswahl, Gewichtung, Stil und Kommentierung betrifft. Nehmen wir die Unternehmenssteuerreform III als Beispiel: Vor der Abstimmung vom 12. Februar plädierte der „Bund“ in einem Leitartikel für ein Ja, die „Berner Zeitung“ für ein Nein. Aus demokratiepolitischen Gründen ist es fatal, wenn dieselbe Newsfabrik denselben Content für beide Zeitungen liefert.

Ich bin nicht Gewerkschafter, sondern besorgter Staatsbürger, der seine Augen nicht vor der Realität verschliesst: Im Mediengeschäft herrscht ein intensiver Verdrängungskampf, die Auflagen der gedruckten Zeitungen sinken, die Werbeeinnahmen brechen weg, Google, Facebook und Amazon machen den grossen Reibach. Während Jahrzehnten bildeten die Rubrikeninserate für Immobilien, Autos, Stellen, käufliche und ewige Liebe das ökonomische Rückgrat für die Zeitungen. Inzwischen sind sie fast komplett ins Netz abgewandert.

Nur: „Berner Zeitung“ und „Bund“ waren in den letzten Jahren wie alle anderen Titel im Tamedia-Portfolio profitabel, die Renditen gemäss Medienökonomen höher als während den goldenen Zeiten ohne Internet.

Einen Teil der Gewinne hätte man in die Redaktionen investieren können – nein, müssen! Stattdessen wurden beim „Bund“ immer weiter Stellenprozente reduziert. Und bei der „Berner Zeitung“ fiel die Wochenendbeilage „Zeitpunkt“, seit vielen Jahren ein leuchtendes Beispiel für Qualitätsjournalismus, dem Sparhammer zum Opfer. Es ist zum Heulen.

Die beinharten Medienmanager interessieren sich nicht für Publizistik und Qualität. Sie fokussieren auf reichweitenstarke Communitys, Native Advertising, Klicks, bewegte Bilder und Zahlen. Tamedia machte 2015 übrigens einen Reingewinn von 334 Mio. Franken (CEO Christoph Tognini erhielt einen Bonus von 6 Mio.), 2016 erwirtschaftete der Konzern ein Plus von 122 Mio. Franken.

Das Grundproblem hat einen Namen: Gratiskultur.

Die Gratiskultur wurde im Jahr 2000 salonfähig: An Bahnhöfen und Bushaltestellen liegen seither Pendlerzeitungen wie „Metropol“ (2002 wieder eingestellt), „20 Minuten“ oder „Blick am Abend“ auf, die Kurzfutter und viele bunte Bilder anbieten. Wenn Milo Moiré bei „Big Brother“ blankzieht, sieht sie vermutlich ganz gut aus dabei. Für die 8,2-Millionen-Gesellschaft zwischen Rorschach und Genf ist das aber nicht von epochaler Bedeutung.

Die Werbewirtschaft drängte anfänglich mit ihren Inseraten in diese neuen, auflagestarken Blätter, und entsprechend war der kommerzielle Erfolg riesig. Dumm nur, dass die Pendlerzeitungen gleichzeitig die Kaufzeitungen aus denselben Medienverlagen kannibalisieren. Einen Anteil an der verfehlten Entwicklung haben die Newsportale, weil sie ihre Inhalte mehrheitlich gratis anbieten.

Die Entscheidung zugunsten der Gratiskultur ist der gravierendste Fehler in der langen Geschichte der Presse. Journalistisch aufbereitete Information darf nicht gratis sein, weil dahinter qualitative Arbeit und Produktionskosten stecken. Einem Bäcker würde es auch nicht in den Sinn kommen, den Passanten von Montag bis Freitag kostenlos Gipfeli abzugeben in der Hoffnung, diese würden dann am Samstag Zopf, Konfitüre und Schwarzwäldertorte bei ihm kaufen.

Grob geschätzt bis zu 80 Prozent der Inhalte von „Berner Zeitung“ und „Bund“ werden in Zukunft also identisch sei. Es wird Einheitsbrei verabreicht, und das in der Hauptstadt einer der ältesten Demokratien! Was passiert mit ebendieser Demokratie, wenn die Medien mangels Ressourcen ihre Aufgabe als Wächter nicht mehr wahrnehmen? Und vor allem, liebe Bernerinnen, liebe Freunde einer stabilen Demokratie, was machen wir jetzt? Die letzte Frage stelle ich als Initiant des Komitees „Rettet den Bund“, das 2008/2009 gegen eine Fusion von “Bund” und “Berner Zeitung” gekämpft hatte.

 

P. S.  Gestern trafen sich die Belegschaften von “Berner Zeitung” und “Bund” über Mittag zum Austausch vor dem Hauptsitz am Dammweg – einem Protestrisotto. Auf Facebook gibt es inzwischen eine Page mit dem Namen “Rettet die Berner Zeitungen”.

“Die Power des Internets ist zu verlockend”

Internet-Giganten wie Facebook oder Google filtern aus der Flut von Informationen gezielt heraus, was die einzelnen Nutzerinnen und Nutzer interessieren könnte. Die Folge sind “Filterblasen”: Die eigene Meinung wird bestärkt, andere Meinungen werden ausgeblendet. Die sozialen Netzwerke kennen ihre User immer besser. Der Algorithmus der Plattformen berechnet anhand von Hunderten Parametern, wer wir sind und was wir zu sehen bekommen. Ein Klick hier, ein Like da – und schon sind wir in der Blase gefangen.

Zu diesem Thema stand ich Jürgen Pfister von der „Bündner Woche“ Red und Antwort.


Herr Balsiger, sortieren sich die Menschen immer mehr nach Selbstähnlichkeit?

MB: „Gleich und Gleich gesellt sich gern“ – viele Leserinnen und Leser werden dieses Sprichwort kennen. Es entstand lange bevor das Internet seinen Siegeszug begonnen hat. (Lacht.) Aber es ist schon so: Die Gesellschaft fragmentiert immer mehr, gleichzeitig suchen die Menschen nach Orientierung – zum Beispiel im Netz, und dort vorzugsweise bei Leuten, die ähnlich denken.

Man bewegt sich unter seinesgleichen. Führt das nicht verstärkt dazu, dass man das Bewusstsein für andere Meinungen und für andere Positionen verliert oder, schlimmer noch, ablehnt?

In seiner Ausprägung hiesse das: Es gibt nur Richtig oder Falsch. Wer regelmässig bestätigt wird in seiner Meinung, dann aber plötzlich auf jemanden trifft, der eine konträre Überzeugung hat, ist zuerst irritiert. Dann kommt es zum Knall. Die Schweizer Parteien etwa gleichen inzwischen Sekten, wie sich mein Kollege Michael Hermann einmal ausdrückte. Alle haben die Wahrheit gepachtet, den anderen fehlt es an Intelligenz oder Weitsicht – oder an beidem. Die jahrhundertealte Tradition des Kompromisses, welche die Schweiz stark gemacht hat, wird so geschwächt.

Auch Falschmeldungen schleichen sich in Filterblasen ein. Wird die Unwahrheit zum Instrument der Politik?

Politik und Wahrheit waren noch nie eineiige Zwillinge. Das war auch in den angeblich guten alten Zeiten so.

Wie steht es um die Versuchung, Falschinformationen systematisch zu verbreiten?

Schon zu Zeiten des Römischen Reichs wurde die breite Öffentlichkeit manipuliert; Augustus beispielsweise, sein erster Kaiser, war ein Meister der Propaganda. Dasselbe gilt für die Bolschewiken während der Russischen Revolution 1917 und später für Nazi-Deutschland. Diese drei Beispiele zeigen: Falschinformation und Propaganda gibt es schon sehr lange. Das Internet, das ja die Gesellschaft weltweit hätte demokratisieren können, eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Manipulation. Wenn es um Macht und Geld geht, schrecken einige Akteure vor nichts zurück. Die Power des Internets ist zu verlockend, um es nicht für die eigenen Zwecke zu nutzen – und leider oft auch zu missbrauchen.

Eine Gefahr für die Demokratie?

Dort, wo die Demokratie nie stabil werden konnte, ja. Nehmen wir den Konflikt um die Ost-Ukraine als Beispiel. Dort tobt auch ein Krieg im Netz, befeuert von Trolls (ich nenne sie Internet-Hooligans), viele von ihnen sind bezahlt, und von Social Bots. Zweitere sind clevere Computerprogramme, die auf bestimmte Schlagworte selbständig Kurztexte verfassen und in Umlauf bringen – vorab via Twitter oder Facebook. Sie verbreiten „Fake News“, für ihre Enttarnung braucht es aufmerksame Leute, Zeit und Medienkompetenz. Viele User stellen sich aber gar nicht die Frage nach der Verlässlichkeit der Quelle, gerade wenn die „Fake News“ ihre eigenen Überzeugungen stützen. Man teilt, was einem gefällt.

Filterblasen stützen das eigene Weltbild, passen zu dem, was man längst weiss, und sie streicheln das eigene Ego. Wollen wir keine konträren Ansichten mehr sehen?

Sehen Sie, der Mensch ist ein bequemes Wesen. Es braucht weniger Energie, zwei Kilometer mit dem Auto ins Geschäft zu fahren, als dieselbe Distanz in 20 Minuten zu Fuss zu gehen. Also fährt man – täglich. Es ist genauso bequem, sich mit Gleichgesinnten zu umgeben – im realen wie im virtuellen Leben. Es kommt ein weiterer Aspekt dazu: die Beschleunigung, der Megatrend unserer Zeit. Wir rasen durchs Leben, das Tempo überfordert uns, auch die News rollen wie grosse Wellen über uns hinweg. Komplexe Themen zu verstehen, ist aufwändig. Deswegen ziehen wir leichte Medienkost vor, und lieber solche, die bestätigt, was wir zu glauben wissen. Ein menschlicher Zug.

Je mehr personalisiert wird, umso mehr wird vom Rest der Welt ausgeblendet. Im schlimmsten Fall bekommt der Nutzer also gar nichts anderes mehr mit. Welches Risiko gibt es, wenn Meinungen ausgeblendet werden? Wie gefährlich ist diese Art der Meinungsbildung im Netz mit Blick auf Wahlen?

Die Präsidentschaftswahlen 2016 in den USA haben gezeigt, dass zahllose Social Bots eingesetzt worden waren. Zeitweise waren bis zu 20 Prozent aller Tweets nicht mehr von Menschen getextet, sondern von solchen Bots, und das mit klaren Absichten. Die Meldung, der Papst habe sich für Donald Trump ausgesprochen, erreichte Hunderttausende von Menschen in den USA. Und viele von ihnen glaubten sie. Die systematische Verunglimpfung der Medien – Stichwort “Lügenpresse” – hat eine zerstörerische Kraft. Was die Schweiz betrifft, bin ich allerdings nicht pessimistisch: Wir sind wir aufgeklärte Bürger und haben mehr als 150 Jahre Erfahrung mit demokratischen Prozessen.


Fördert das Netz auch gesellschaftliche Extreme?

Diese Vermutung ist naheliegend. Nehmen wir die Wutbürger. Diese hat es zwar schon immer gegeben. Früher sassen sie im „Bären“ oder im „Sternen“ und liessen ihre Fäuste auf den Stammtisch krachen. Sie wetterten über „Tschinggen“, „Dreckstamilen“ oder „Sozialschmarozer“. Inzwischen sitzen die Wutbürger alleine zu Hause vor ihren Laptops und hämmern in die Tasten. Facebook und News-Portale wurden riesige Echokammern. Je lauter man hineinruft, desto grösser ist das Echo, und darum geht es. Je rabiater der Ton, desto höher ist die Aufmerksamkeitsprämie. Das steckt an und vergiftet unsere Gesellschaft. In der Verantwortung stehen auch die Medienhäuser: In den letzten zehn Jahren haben sie versucht, möglichst grosse Online-Communities aufzubauen, die Hürden für Kommentare sind tief. Auf diese Weise wird einer Armada von Wutbürgern eine Plattform geboten.

Im personalisierten Internet sieht der Nutzer nur noch Artikel, die ihn interessieren. Mit diesem Geschäftsmodell verdienen Internet-Konzerne ihr Geld, weil sie mit diesem Werkzeug auch die Werbung auf das jeweilige Profil zuschneiden. Wer beispielsweise Urlaub in Schweden anklickt, bekommt über Google oder Facebook plötzlich nur noch Angebote von Blockhütten an einem schwedischen See angezeigt. Eine tolle Entwicklung oder bedenklich?

Man kann den Datenkraken ja auch ein Schnippchen schlagen. Oder sich überlegt im Netz bewegen und weniger Spuren hinterlassen. Zum Beispiel andere Suchmaschinen als Google nutzen und Facebook nur für private Nachrichten.

Die Medien unterliegen einem rasanten Wandel, Stichwort digitale Disruption. Im Kern geht es um eine Frage, die viele Experten schon seit Jahrzehnten umtreibt: Wie entsteht Öffentlichkeit? Wie gesellschaftlicher Konsens? Haben Sie eine Antwort?

Ich orientiere mich an den beiden grossen W – Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Die Hektik des Alltags lässt uns vergessen, welch zentrale Bedeutung sie haben. Die Medien haben eine eminent wichtige Rolle in der Demokratie, aber sie sind sich dessen kaum mehr bewusst, weil die Zeit für Reflexion fehlt und ein entfesselter Überlebenskampf im Gange ist. Wir als Staatsbürger sollten den relevanten Themen mehr Raum geben, um nachzudenken, zu diskutieren (so wie die Griechen in der Agora), und das am besten in Gruppen, die soziodemografisch durchmischt sind. Ich tue das zum Beispiel in einem 20-köpfigen Chor, dessen Mitglieder aus den unterschiedlichsten Milieus kommen. Das ist sehr bereichernd.

Facebook als Nachrichtenquelle? Viele Nutzer sehen das inzwischen so. Facebook selbst hat sich vielfach dagegen verwahrt, als Medienunternehmen bezeichnet zu werden. Warum? Teilen Sie die Ansicht, dass dies geschieht, um sich vor allem gegen die Art politischer Intervention abzuschirmen, die in Bezug auf traditionelle Medienunternehmen gängig ist? Ich spreche beispielsweise von Presserecht und Gegendarstellungen bei falschen Behauptungen.

Facebook ist wie Google, Apple und Amazon eine Datenkrake. Dank unseren Daten sind diese Tech-Konzerne gross und mächtig geworden, ihre Gewinne sind gigantisch. Im erweiterten Sinne sind Facebook & Co. nicht nur Plattformen, die Beiträge von Medien transportieren, sondern auch Medienunternehmen. Als solche müssen sie sich verstehen. Das bedingt einen Kulturwandel – und es braucht Druck, viel Druck von aussen. Von den Nutzern, aber beispielsweise auch von der EU-Wettbewerbskommission, die ja Ende Juni Google wegen Verstösen gegen das Kartellrecht mit 2,4 Milliarden Euro büsste. Facebook müsste dieselben Pflichten haben wie „Le Monde“, Radio SRF oder die “Bündner Woche”.

Soziale Medien haben die traditionellen Stärken des Journalismus zum Teil entmachtet. Bei Facebook und Google stehen fragwürdige News und Verschwörungsblogs scheinbar gleichberechtigt neben Quellen, die sich an journalistische Standards halten. Eine Chance für die die althergebrachten Medien oder ihr Untergang?

Die Medienhäuser haben die fundamentale Krise der Medien selbst herbeigeführt. In den Neunzigerjahren führten sie aus freien Stücken Gratisnews ein – zuerst mit Pendlerzeitungen, dann im Internet. Das war intelligenzfrei, journalistisch aufbereitete Information darf nie gratis sein! In der Schweiz kümmern sich die grossen Medienhäuser nicht mehr um Qualität und Publizistik; es geht um Quoten, Klicks und Margen. Journalistische Produkte sind nicht mehr ein Kulturgut, sondern industriell aufbereiteter Konfekt – schnell zusammengesucht, schnell geschrieben, schnell vergessen. Einige wenige Medien kämpfen gegen diese Entwicklung zur Verflachung und kompletten Boulevardisierung an. Ein paar davon sind traditionelle und starke Marken, andere werden neu entstehen.

Was kann man selbst tun, um die Blase zum Platzen zu bringen, in der man vielleicht schon längst gefangen ist, ohne es zu merken?

Ich erzähle Ihnen, wie ich vorgegangen bin: Ich wählte sorgfältig ein paar Medien aus, deren Arbeit ich über eine längere Zeitspanne beobachtet und überprüft hatte, Print und Online. Dazu kommen glaubwürdige Meinungsmacher aus meiner Blase sowie Bloggerinnen, die im politischen Spektrum rechts und links zu verorten sind. Das ist mein Medienmenü. Früher abonnierte man NZZ und WOZ. Beiträge von Journalistinnen und Journalisten sollen zum Denken anregen. Ich stosse mich daran, dass Medien konsumiert werden. Dabei auch das Hirn einzuschalten würde helfen. Hunderttausende von Menschen in unserem Land beginnen ihren Medienkonsum um 19.30 Uhr mit der „Tagesschau“, gegen 23 Uhr wuchten sie sich aus dem Sessel und gehen schlafen. Abend für Abend. Wieviel haben sie mitbekommen und vor allem: Wieviel davon können sie später noch abrufen?

Das Original-Interview in der “Bündner Woche” vom 12. Juli 2017 zum Herunterladen:

“Bündner Woche”: Interview komplett (PDF)

 

Als es dem “Bund” an den Kragen ging – oder: Was ist uns Journalismus noch wert?

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Heute vor acht Jahren liess Pietro Supino, der Verwaltungsratspräsident der Tamedia, die Belegschaften von „Berner Zeitung“ und „Der Bund“ zusammentrommeln. Er informierte sie über Gewichtiges: Die beiden Tageszeitungen würden entweder fusioniert oder aber der „Bund“ mit vielen Inhalten des „Tages-Anzeigers“ beliefert. Es ging um den Abbau vieler Stellen auf beiden Redaktionen, aber auch in der Produktion und im Verlag, lies: eine Rosskur.

Diese Ankündigung schlug in Bern ein wie eine Bombe. Die Bundesstadt mit nur noch einer Kaufzeitung und womöglich ohne „Bund“ – unmöglich, das konnte und wollte sich niemand vorstellen! Zahllose Bernerinnen und Berner sind mit dem “Bund” aufgewachsen; er ist eine Institution. Der “Bund” gehört zu Bern wie die Aare, das Münster und der Zibelemärit.

Ich hatte schon am Vorabend Wind von Supinos angekündigtem Auftritt gekriegt und ging vom Worst Case aus: Fusion. Im Verlaufe des Montags führte ich Einzelgespräche mit drei Vertrauenspersonen, am Dienstag traf ich ein Mitglied der „Bund“-Redaktion, und am Mittwoch sagte ich schliesslich meine dreiwöchige Reise durch Mexiko, die in den nächsten Tagen begonnen hätte, ab.

Die Leserbriefspalten waren voll, der Unmut gross. „Bund“-Abonnentinnen und -Liebhaber fanden die Pläne des Zürcher Medienkonzerns unter jeder Kanone. Es ist nicht von der Hand zu weisen: Ohne gut gemachte Kaufzeitungen – online inklusive – verliert die Demokratie einen wichtigen Pfeiler. Gute Zeitungen kosten Geld, viel Geld. Aber: Qualität sollte man fördern, nicht opfern, sonst kommt irgendeinmal der Bumerang. Tamedia machte 2008 einen Reingewinn von 106 Millionen Franken, im Frühling 2009 entliess sie einen Viertel der “Tagi”-Belegschaft. 2015 erzielte Tamedia einen Gewinn von 334 Mio., in diesem Jahr kam es bei “24heures” und “Tribune de Genève” zu 20 Entlassungen. Ich verschliesse meine Augen nicht vor den Realitäten, und klar, wenn Werbeeinnahmen einbrechen und Abozahlen zurückgehen, muss ein Verlag reagieren. Die Frage ist, wie.

Doch zurück zur “Bund”-Rettung. Mir stand ein Zeitfenster von drei Wochen zur Verfügung, währenddem ich mich voll auf dieses neue Projekt konzentrieren konnte. Im Hintergrund baute ich das Komitee „Rettet den Bund“ auf. Prominente wie Kuno Lauener, Thomas Hürlimann, Simonetta Sommaruga und Benedikt Weibel traten dem Co-Präsidium bei. Herr Häck legte den Grundstein für eine Website, ich definierte die Strategie für die nächsten Wochen, schliff an Botschaften und las alles über Medienökonomie, was ich auftreiben konnte. Am 11. Dezember 2008, einen Tag nach den Bundesratswahlen, gingen wir an die Öffentlichkeit. Ein paar Stunden später lag der Server vorübergehend flach, er war von den zahllosen Besuchen überfordert, Hunderte von Leuten traten schon am ersten Tag dem Rettungskomitee bei.

Der Widerstand war gebündelt, die Wellen der Entrüstung rollten offline und online, Facebook galt damals noch als hip. Ich erinnere mich lebhaft an jene Phase: Täglich erhielten wir Dutzende von E-Mails, Telefonate und Briefe, bei meiner Agentur, wo die Fäden zusammenliefen, gingen die Leute ein und aus. Nie zuvor hatte ein Projekt von uns so viele Reaktionen – mehrheitlich positive, zum Teil auch kritische – ausgelöst. Das motivierte ungemein. Während wir das Komitee weiter ausbauten und Öffentlichkeit generierten, begann sich im Hintergrund die „Arbeitsgruppe Gutenberg“ – bestehend aus Simonetta Sommaruga, Werner Luginbühl, Alec von Graffenried, Christoph Stalder und mir – mit der Tamedia-Spitze zu treffen.

Sechs Monate und 1200 Stunden Fronarbeit später entschied Tamedia, an der Marke „Bund“ festzuhalten und diese Traditionszeitung weiterhin herauszugeben. Ob die schiere Existenz des Rettungskomitees die Entscheidung des Medienkonzerns beeinflussen konnte, wissen wir nicht. Aber wir haben es versucht – mit Lust und einem langen Atem.


Weshalb erwähne ich das?
Ganz einfach: Um Sie/dich für dieses Thema zu sensibilisieren. (Hach, ein strapaziertes Wort!) Die Medien sind in einem disruptiven Prozess, ihre beinharten Manager haben den Glauben an die gedruckte Zeitung verloren, Publizistik interessiert sie nicht. Es ist möglich, dass Tamedia im Grossraum Bern in absehbarer Zeit einen der beiden Titel einstellen will.

Die Fragen, die wir uns an langen Dezemberabenden stellen sollten:

– Darf die Hauptstadt einer der ältesten und stabilsten Demokratien mit nur einer Tageszeitung – ob auch gedruckt oder nur noch online, ist nicht relevant – bedient werden?

– Stehen wir bereit mit einer Alternative, wenn Tamedia den Stecker zieht? („Journal B“ kam nie zum Fliegen, die „Tageswoche“ in Basel wird von einer Stiftung alimentiert, Constantin Seibt & Co. lancieren hoffentlich bald ihr eigenes „Project R“.)

– Was ist uns Journalismus in Zeiten von Google, wegbrechenden Werbeeinnahmen, Gratis- und Fake-News überhaupt noch wert?

Die Diskussion ist eröffnet. Wer sich hier nicht exponieren mag, erreicht mich auch per DN, Mail und Telefon.

P.S.
Zwei der Kampagnensujets, die wir im Winter 2008/2009 verwendeten, konnte ich aus dem Archiv „usegrüble“.
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