Mit müden Beinen schlurfe ich um das Gebäude herum, der Kies knirscht bei jedem Schritt. Rechts stehen bunt bemalte Zirkuswagen, ein Wimpel zwirbelt im lauen Wind, sonst regt sich nichts. Der Innenhof liegt da wie ausgestorben. Ich drücke die angelehnte Türe auf und strecke meine Nase in das kleine Restaurant hinein. Es strahlt Wärme aus. In Hintergrund singt Paolo Conte. Ich mag diesen Ort auf Anhieb, und wer den italienischen Liedermacher auflegt, hat bei mir ohnehin schon 100 Punkte eingeheist.
Da biegt ein Mann mit wilder Mähne um die Ecke. Unter dem linken Arm trägt er einen Korb mit Wäsche.
„Talar du engelska?“, beginne ich.
Eine rhetorische Frage. In Schweden sprechen fast alle Leute Englisch, die meisten sogar auf hohem Niveau.
Seine dunklen Augen blitzen schelmisch und er fragt auf Schwedisch zurück: „Talar du svenska?“
Ich schüttle bedauernd den Kopf.
Der Mann gibt mir die Hand. „Mladen!“
Jetzt bin ich es, der schelmisch fragt: „Bosanki?“ (Bosnisch).
Mladen hebt die Augenbrauen. Ja, die ersten fünf Jahren seines Lebens habe er im Norden Bosniens verbracht, fährt er auf Englisch fort; seither sei er in Schweden. Dabei macht er mit dem rechten Arm eine raumgreifende Geste auf das Gebäude und den Innenhof – das Hotel Vagabond.
Vällkommen – willkommen bei Mladen und seiner Partnerin Janna, einer Schwedin.
Früher war das Hotel Vagabond eine Schule. Sie liegt zwischen den beiden kleinen Dörfern Abbekås und Skivarp, etwa eine Autostunde südlich von Malmö. Vor 14 Jahren kauften es Janna und Mladen, beide sind ausgebildete Schauspieler, und bauten es mit der Hilfe von Freunden um. Ein Theater entstand – es lautet auf den Namen Theater Kapija, inspiriert von Ivo Andrićs Klassiker „Die Brücke über die Drina“. Das Theater hat etwa 50 Sitzplätze, eine grosse Bühne und viel Ambiente.
Das Theaterleben ist auch im Süden Schwedens hart, fernab von Städten strömt das Publikum nicht in Massen herbei. Deshalb entstand vor ein paar Jahren ein kleiner Hotelbetrieb. Das Paar kaufte sechs Zirkuswagen und baute sie um. Sie sind rustikal, charmant und ungemein gemütlich. Ihr Inneres haben sie geschmackvoll eingerichtet und bemalt. Die Wagen tragen Namen. Meiner heisst Dizzy – angelehnt an Dizzy Gillespie.
Zum Znacht gibt es gegrillten Lachs oder Ćevapčići. Dazu gedämpftes Gemüse, Kartoffelsalat und spanischen Rotwein. Im Vagabond sitzen alle Gäste zusammen an einem Tisch, Fremde werden zu Bekannten, Geschichten machen die Runde. Nach dem Nachtisch – selbstgemachter Schoggikuchen mit Rahm und Himbeeren aus dem eigenen Garten – setzen sich auch die Gastgeber hinzu.
Zur fortgeschrittenen Stunde schnallt sich Janna die E-Gitarre um und Mladen den Bass. Und dann geben sie Eigenkompositionen, mal rauh, mal verspielt. Es sind wahre Geschichten aus ihrem Leben. Mladen zupft mit stoischer Ruhe den Viersaiter. Von Janna kommt eine neue Facette zum Vorschein: Auf der Bühne bricht ihr Temperament durch, ja, sie scheint zu explodieren. Das Konzert: authentisch, so nahe, so wuchtig – und deshalb: so gut.
Wir sitzen da – hingerissen. Es ist Sonntagabend und das Glück hat uns umarmt.
Janna und Mladen haben sich einen Traum erfüllt. Das bedeutet auch harte Arbeit, putzen und ökonomische Unsicherheit. Aber sie tun, was sie wollen und sie tun es mit Leidenschaft. Das steckt an.
Das Hotel Vagabond ist eine Oase des Glücks.
P.S.
Der Sommer in Schweden ist von kurzer Dauer, die Saison des Hotels Vagabond auch. Dorthin einen Abstecher zu machen und in die Vagabond-Welt einzutauchen, empfehle ich besonders Familien mit Kindern, Frischverliebten sowie Romantikerinnen und Romantikern.
Hier der Link zum Hotell Vagabond in englischer Sprache (auf Schwedisch hat Hotel zwei “l”), und derjenige zum Teater Kapija (Theater ohne “h”). Dank Google Maps wissen Sie/weisst du mit einen Klick, wo Abbekås liegt: hier.