Susanne Wille ist ein Profi, kein Star

Wir trafen uns zum ersten Mal an einem schönen Frühsommertag im Jahr 1999. Baden, ABB-Areal, Medienkonferenz. Beide waren ein paar Minuten vor dem Start schon da. Susanne Wille kam auf mich zu und stellte sich vor. In Journikreisen kommt das selten vor, es zeigt eine Wesensart von ihr. Sie arbeitete damals für den Regionalsender «Tele M1», ich für Radio SRF. «Sympa», dachte ich.

Wir lebten in derselben Kleinstadt und so kam es, dass wir uns fortan ab und zu auf einen Kaffee trafen. Unsere Gespräche sind mir in lebhafter Erinnerung: Susanne war breit interessiert, aufmerksam, klug, reflektiert, schnell und charmant. Wir sprachen über Politik und Medien, manchmal auch über Privates oder Edinburgh, und uns verband die Liebe zur spanischen Sprache.

Als bei «10vor10» Moderatorin Eva Wannenmacher, auch sie eine Aargauerin, ihren Abgang ankündigte, wollte ich Susanne ermuntern, sich zu bewerben. Sie war im Endspurt ihres Studiums und hatte bei «Tele M1» bereits mit Moderieren begonnen, was sie von Anfang an gut machte. Meine Ermunterung war nicht nötig, «scho gmacht», sagte Susanne und zwinkerte mit den Augen.

Bei SRF hat Wannenmacher hatte das Nachrichtenmagazin nach aussen geprägt. Sie war eloquent, ungemein präsent und telegen. Diese Fussstapfen und die Erwartungen an Wille waren gross. Sie bewarb sich, kriegte den Job, machte ihren Weg, bewies sich in mehreren Sendegefässen und Rollen, und sie wurde Mutter von drei Kindern. Den wichtigsten Antrieb im Journalismus hat sie auch nach 20 Jahren in diesem Geschäft immer noch: Neugierde, echte Neugierde. Sie will es genau wissen, sie will es verstehen.

Eine weiteres Qualitätsmerkmal von ihr ist die akribische Vorbereitung auf Themen und Interviewgäste. Deshalb stürzte sie nie ab, wenn sie Sendungen moderierte, durch eine Gala führte, Bundesratswahlen kommentierte, einen amerikanischen Schriftsteller traf oder Kinder in einem Slum porträtierte. Sie ist Profi. Die Titel, die der Boulevard über sie in die Welt hinaus pustet, etwa «Miss Perfect» oder «Allzweckwaffe», sind dümmlich. Ein Wort reicht: souverän.

TV-Fabriken sind ein Hort von Eitelkeiten, Intrigen, Zynismus, verletzten Seelen, vielen Gärtchen und Chefs, die ihre Position legitimieren müssen. Das gilt auch für den «Leutschenbach» am Stadtrand Zürichs. Die Fernsehwelt ist eine andere als die reale, aber es gibt Medienschaffende, die diesen Unterschied irgendeinmal auszublenden beginnen. Es drängt viele vor die Kamera. Nicht alle haben das Zeug dafür. Nicht alle merken es selber.

Diejenigen, die es schaffen, benehmen sich nicht selten wie Stars. Zuweilen entsteht der Eindruck, es gehe ihnen mehr um sie, als um den Inhalt der Sendungen oder ihre Gäste.

Susanne, so meine Beobachtung aus Distanz, blieb trotz ihrem Erfolg und der vielen Fanpost stets auf dem Boden. Der Journalismus, präziser: Qualitätsjournalismus treibt sie um wie damals als Studentin bei unseren Gesprächen in den Cafés von Baden. Das zeigt ihre Kolumne in der «Aargauer Zeitung» seit Jahren, in der sie gescheit herleitet und argumentiert – ein Beispiel aus dem Jahr 2017.

Mit Kritik kann sie umgehen, was nicht für alle ihre Arbeitskollegen gilt, die oft mit einem verschnupften «Das kann man so sehen» reagieren.

Dass Susanne Wille das Scheinwerferlicht nicht braucht, zeigt ihre Entscheidung, in Zukunft nicht mehr zu moderieren. Gestern führte Sie zum letzten Mal durch «10vor10». Künftig wird sie hinter den Kulissen wirken – als Chefin der SRF-Abteilung Kultur, ein Laden mit vielen Gärtchen und Egos. Ich zweifle nicht daran, dass sie auch in dieser Tätigkeit reüssieren wird.

Jetzt hilft nur noch der Druck der Öffentlichkeit

Wir leben im Zeitalter von Fake News, Push-Nachrichten und Glarner-Funiciello-Ringkämpfen. Noch haben wir Alternativen zu schnell hingeworfenen News und belanglosen Storys. Geht es um Einordnung, Hintergrund und Analyse sind Sendungen wie «Echo der Zeit», «Rendez-vous» und «Heute Morgen» von Radio SRF zuverlässige Anker im Sturm. Sie überzeugen durch Qualität und erreichen die Massen – linear, zunehmend auch mit Podcasts.

Produziert werden diese Sendungen, aber auch die Nachrichten und SRF4 News seit jeher in Bern, die Fachredaktionen Wirtschaft, Inland und Ausland sind dort angesiedelt, ebenso die Korrespondentinnen und Korrespondenten. Das hat für Kontinuität und eine Bündelung an Know-how gesorgt. Und es brachte eine Kultur hervor, die unbezahlbar ist.

Doch die SRG- und SRF-Spitze will nun praktisch die gesamte Abteilung Information von Radio SRF von Bern nach Zürich verlegen. Betroffen wären rund 150 Vollzeitstellen (siehe Grafik unten). Zunächst wurde das Zentralisierungsprojekt als Sparmassnahme angepriesen. Als der Spareffekt schon bald auf drei bis maximal fünf Prozent des gesamten Sparprogramms zusammensackte, musste ein neues Zauberwort her: Digitalisierung. Der Bereich «Forschung und Entwicklung» könne nur systematisch vorangetrieben werden, wenn alle Beteiligten unter einem Dach seien, erklärte SRF-Direktor Ruedi Matter in einem Interview. Das Gegenteil trifft zu: Gerade die Digitalisierung eröffnet Möglichkeiten, um dezentral zu arbeiten. In allen Branchen. (Nebenbei: Die Renovation und der Ausbau des Radiostudios am jetzigen Standort kostete in den letzten Jahren insgesamt 30 Millionen Franken. Wird die Zentralisierung durchgeboxt, soll die Generaldirektion in die Radio-Liegenschaft an der Schwarztorstrasse umziehen. Sie müsste also erneut umgebaut werden, was erneut viel Geld kostete.)

Was bedeutete die Zentralisierung im Leutschenbach?

An einem Pult im Newsroom würde entschieden, wer welche Themen wie aufzubereiten hat. Die Folge wäre Gleichschaltung, der Wettbewerb der Redaktionen und die Differenzierung der Gefässe fallen weg. Die Beiträge werden in Einzelteile zerlegt und von anderen Journalisten über die verschiedenen Vektoren, also TV, Radio und Online, ausgespielt. Kurzfutter überall. Der Autor bzw. die Autorin des Beitrags hat keinen Einfluss mehr auf die weitere Verwertung ebendieses Beitrags. Das ist die Industrialisierung des Journalismus; sie macht ihn kaputt.

Die Bauarbeiten für einen Newsroom im Leutschenbach sind bereits im Gang. Damit ich hier nicht falsch verstanden werde: Ja, SRF soll einen Newsroom betreiben – für die schnelle Information! Egal auf welchem Vektor. Aber das reicht nicht. Die SRG-Sender können sich auf die Dauer nur halten, wenn sie auf Einordnung, Hintergrund und Analyse fokussieren. Dafür bezahlen die Leute gerne Empfangsgebühren. Das Radio ist prädestiniert dafür, TV hingegen bringt primär Themen, die sich bebildern lassen, Sport und Unterhaltung. Online wiederum ist stark auf Videosequenzen angewiesen, zudem sind diesem Vektor enge Grenzen gesetzt, was die Länge der Texte betrifft.

Das Bedürfnis nach fundierter Berichterstattung wird wachsen, zumal die privaten Medienhäuser auf Clickbaiting setzen und kein festes Korrespondentennetz mehr in den Regionen und im Ausland haben. Investigativer Journalismus wird noch wichtiger. Doch wer kann und will ihn ab dem Jahr 2025 noch bieten? Die SRG? Die WOZ? Die Republik, wenn sie überlebt? Hoffentlich die NZZ. Und sonst?

Stille.

Relevante Radiobeiträge kommen linear, als Podcast (also on demand) oder auf eine Art, die wir heute noch gar nicht kennen. Neue Formen werden entstehen, Radio ist dynamisch und kostengünstig.

Überzeugende Informations- und Hintergrundsendungen am Radio bedingen Distanz zum Newsroom und damit auch zu Zürich-Leutschenbach. Sonst droht die Verflachung des Angebots, starke Marken wie «Heute Morgen», «Rendez-vous» und «Echo der Zeit» verlören an Bedeutung, und damit würde eine unheilvolle Erosion einsetzen. Newsroom und Hintergrund – das sind zwei Kulturen. Unter einem Dach passen sie nicht zusammen, das Hintergründige würde verwässert.

Aus diesem Grund muss dieses Zentralisierungsprojekt jetzt endlich gestoppt werden. Schluss mit diesem Unfug à la McKinsey! Anders als bei «No Billag» können wir nicht mit einer Volksabstimmung kraftvoll «Njet» sagen. Hintergrundgespräche und politischer Druck haben in den letzten Monaten nicht zu einem Übungsabbruch geführt. Also hilft nur noch der Druck der Öffentlichkeit. Und damit liegt der Ball bei dir/Ihnen! Es geht darum, jetzt Farbe zu bekennen. Auf der Strasse.

Am Donnerstag, 30. August, 19 Uhr, wird auf dem Bundesplatz eine Kundgebung für den Radiostandort Bern stattfinden. Dabei geht es um viel mehr als den Standort von Radio SRF in Bern. Es geht um Föderalismus. Um Qualität. Um Demokratie. Und um den Medienplatz Schweiz.

Selbst wenn an jenem Abend andere Alternativen locken: Kommet zahlreich!

P.S.
Die Crew des Radiostudios Bern hat im Verlauf des Sommers ein Papier erarbeitet, das aufzeigt, wie ein Audio-Kompetenzzentrum in Bern aufgebaut werden könnte – Leseempfehlung.


Zur Grafik: Wie die Abteilung Information von Radio SRF in Bern heute aussieht, und wie sie sich nach der Zentralisierung präsentieren würde: