Die Gretchenfrage lautet: Was ist uns Journalismus wert?

Die Libertären wetzen ihre Messer schon lange. Sie wollen mit ihrer Halbierungsinitiative die verhasste SRG ausbluten lassen. Gestern haben sie einen Teilerfolg errungen (hier solid zusammengefasst). Der Bundesrat senkt die Medienabgabe schon wieder, zudem werden neu 80 statt wie bisher 75 Prozent aller Firmen von der Serafe-Gebühr befreit.

Ein Privathaushalt bezahlt künftig noch 300 statt 335 Franken pro Jahr. Pro Monat bleiben also 3 Franken mehr im Portemonnaie. Mit Verlaub, das als Entlastung anzupreisen, ist eine Lachnummer!

Über die Halbierungsinitiative, welche die Gebühren auf 200 Franken reduzieren will, stimmen wir voraussichtlich im Jahr 2026 ab. Im Parlament regen sich aber bereits mehrere Figuren, die ihr eigenes Süppchen kochen wollen, konkret: Es wird Gegenvorschläge geben.

335 Franken, 300 Franken, 200 Franken, 280 Franken – es geht schon seit Monaten fast ausschliesslich nur um Preisschilder. Das ist erbärmlich. Es bräuchte eine Debatte über den medialen Service public. Es geht um Fragen wie: Was ist uns Journalismus wert?

Für eine solche Debatte bräuchte es Basiswissen. Ich liefere fünf Punkte:

– Die privaten Medien in der Schweiz haben ein massives Finanzierungsproblem. Inzwischen fliessen jedes Jahr 2 Milliarden Franken an Werbegeld zu den Tech-Giganten wie Google und Meta (Facebook, Instagram). Die Konsequenzen: Abbau, Ausdünnung des Angebots, Verflachung.

– In den letzten 20 Jahren sind in der Schweiz rund 70 Medientitel verschwunden. Das führt zu einer Verarmung. Natürlich gab es in derselben Zeitspanne auch Neugründungen, doch von ihnen schafften bislang kein halbes Dutzend den «Break Even», also eine ausgeglichene Rechnung. Die Erkenntnis: Journalismus ist kein Geschäftsmodell mehr. Es braucht ein starkes Medienhaus, das gebührenfinanziert ein breites Angebot liefert, und zwar überall dort, wo die Menschen sind, also auch online und auf Social Media.

– Ein Privathaushalt gibt laut Bundesamt für Statistik im Durchschnitt jährlich 3168 Franken aus für Medien. Darunter fallen Zeitungen, Bücher, Streaming-Dienste wie Spotify, usw. Die Medienabgabe beträgt 335 Franken. Mit anderen Worten: Die Serafe-Gebühren machen nicht einmal 12 Prozent der Gesamtausgaben für Medien aus.

– Die SRG ist die grösste Kulturproduzentin im Land. Im Jahr 2023 unterstützte sie rund 190 Film- und Serienprojekte, wie zum Beispiel «Davos 1917». Viele von ihnen hätten sonst nicht realisiert werden können. Kultur sorgt für Reibung, Emotionen, Wissen, Verständnis für andere, Zusammenhalt. Sie hat einen unschätzbaren Wert.

Die allermeisten Produktionen rechnen sich nicht. Private Medien hingegen realisieren nur, was sich rechnet, sonst könnten sie nicht überleben. In der kleinräumigen Deutschschweiz lassen sich Serien wie «Der Bachelor», «Die Bachelorette» und «Bauer ledig sucht» am Markt finanzieren.

– Seit nunmehr 20 Jahren wächst bei den Medienhäusern der Online-Bereich stetig. Die Transformation ist in vollem Gang. Die BBC, die von Grossbritannien aus weltweit journalistische Standards setzt, baut sich so um, dass ab 2030 die allermeisten Angebote nicht mehr linear, sondern nur noch on demand, vorab mit Apps, ausgespielt werden.

Medien, die die Transformation nicht schaffen und ihre Angebot nicht attraktiv im Netz präsentieren, sind in ein paar Jahren tot. Das gilt auch für die SRG. Schon jetzt sind dem öffentlichen Medienhaus enge Grenzen gesetzt, wenn es um die Präsenz im Netz geht. Beiträge ohne Bezug zu Radio- oder Fernsehsendungen dürfen beispielsweise nicht länger als 1000 Zeichen sein. Das entspricht zwei kurzen Abschnitten.

Jede weitere Einschränkung schwächt die SRG. Dass sich die privaten Medien ohne Konkurrenz der SRG im Netz besser entwickeln würden, ist eine Behauptung. Erhebungen in anderen Ländern zeigen, dass die privaten Medien von einem starken gebührenfinanzierten Anbieter profitieren. Die «böses Feinde» sind die Streamingdienste, die die Leute im grossen Stil an sich binden, und die Tech-Giganten im Silicon Valley, denen das Werbegeld zufliesst.

Wenn dich diese Argumente überzeugen, ist das der richtige Zeitpunkt, um jetzt Teil der Allianz Pro Medienvielfalt zu werden. Die Community wächst – hier lang:

Im Kern geht es um die «Wir»-Schweiz

Zuweilen ärgern sich viele Leute in diesem Land über einzelne Beiträge, Moderatoren oder Sendungen der SRG. Der individuelle Fokus blendet aus, welche Leistungen das öffentliche Medienhaus für alle Bevölkerungsgruppen in den vier Sprachregionen erbringt. Mit der Halbierungsinitiative kommt bereits der nächste Frontalangriff auf die SRG. Es geht um weit mehr als um die Finanzierung des Service public

Die Unterschriften für die Halbierungsinitiative sind also beisammen. Damit kann die libertäre Truppe um SVP-Nationalrat Thomas Matter und Noch-Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler schon wieder zum Halali auf die verhasste SRG blasen. Wohlan.

Die Schweiz kommt aus einer beispiellosen Krise, die unserer Gesellschaft sehr zugesetzt hat. Just in einer Zeit, die von Polarisierung und Desinformation geprägt ist, erfolgt der nächste Angriff auf die Medienvielfalt. Natürlich kann die SRG auch mit einer Medienabgabe von 200 Franken pro Haushaltung noch Programme gestalten. (Bis 2018 betrug sie übrigens noch 450 Franken, aktuell liegt sie bei 335 Franken, was einer Reduktion von 25 Prozent entspricht.)

Viele Programme würden bei einem Ja wegfallen – von den teuren Informations- und Hintergrundsendungen über Live-Sport bis zu Unterhaltungskisten, die viele Leute mögen. Nicht zu vergessen: Die SRG ist die grösste Kulturproduzentin des Landes. Nach einem Ja zur Halbierungsinitiative würde für Film-, Literatur- und Musikförderung nichts mehr übrigbleiben.

Klar, deswegen geht die Schweiz nicht unter. Aber eine Schweiz ohne Filme wie «Die göttliche Ordnung», ohne Serien wie «Tschugger» oder «Wilder», ohne Förderung der Literaturfestivals und ohne «Radio Swiss Pop» mit einem Anteil von 50 Prozent Schweizer Musik wäre eine markante Verarmung.

Damit sind wir sind beim entscheidenden Punkt angelangt.

Bei der Abstimmung über die Halbierungsinitiative geht es nicht nur um die Finanzierung des öffentlichen Medienhauses. Es geht im Kern um die Frage, ob sich die «Ich-Ich-Ich!»-Schweiz durchsetzt oder die «Wir»-Schweiz. Es geht also um Egoismus vs. Gemeinsinn.

Das gesamte Angebot der SRG kostet 90 Rappen pro Tag

Doris Dosenbach findet die Hintergrundsendungen von Radio SRF und einige Podcasts top, das Fernsehangebot hingegen hält sie für unterkomplex. Ihr Nachbar Hugo Hugentobler schaut sich mit Freude die Quiz- und Kochsendungen an, News und Dokumentationen interessieren ihn hingegen nicht. Dass sich seine Kinder auf Youtube, Instagram und Tiktok viele SRG-Inhalte reinziehen, kriegt er nicht mit.

Die Dosenbachs und Hugentoblers dieses Landes zeigen Gemeinsinn, wenn sie die Präferenzen der anderen nicht nur respektieren, sondern auch bezahlen, genauso wie Kinderlose die Sanierungen der Schulhäuser mitfinanzieren. Aktuell kostet das gesamte Angebot der SRG 90 Rappen pro Tag, rund 75 Prozent aller Firmen sind von der Medienabgabe befreit.

Beim Kampf gegen «No Billag 1» 2017/2018 war ich als Kampagnenleiter dabei. Es war das längste und intensivste «Battle», das ich in 20 Berufsjahren erlebt habe. Ich kann erahnen, was mit der Halbierungsinitiative auf uns zukommt, bei der es sich faktisch um eine «No Billag 2» handelt, denn: Ist die SRG erst einmal halbiert und kann kein Vollprogramm mehr bieten, verabschiedet sich auch die Masse. Mit dem dritten Frontalangriff wird die SRG dann vollends ausradiert. Das ist das Ziel der Matters und Biglers.

Was geschieht, wenn man die Medien den Kräften des Marktes überlässt, zeigen die USA, und es graut mir davor. Ein Präsident Donald Trump wurde nur möglich, weil er den grossen werbefinanzierten TV-Fernsehstationen hohe Einschaltquoten bescherte. Ich bin ein liberaler Geist, aber mir ist klar, dass der Markt in der kleinräumigen viersprachigen Schweiz nicht mehr funktioniert.

Innerhalb von 15 Jahren schmolz der Werbeumsatz auf einen Drittel

Die privaten Medien in der Schweiz erwirtschafteten 2007 mit Werbung 2,2 Milliarden Franken. Im letzten Jahr waren es noch 730 Millionen Franken. Innerhalb von 15 Jahren ist der Werbeumsatz also auf etwa einen Drittel geschmolzen. Nicht die SRG ist schuld daran, das Werbegeld fliesst zu den Tech-Giganten in Kalifornien, also zu Amazon, Google und Meta (Facebook & Co.). Diese Entwicklung ist irreversibel, mittelfristig lässt sich mit Journalismus kein Geld mehr verdienen.

Mit deutlich teureren Abonnements können die Schweizer Medienhäuser den Abfluss an Werbegeld nicht annährend kompensieren. Die Bereitschaft, für Online-Journalismus zu bezahlen, liegt aktuell bei 17 Prozent. Vor fünf Jahren betrug dieser Wert 13 Prozent. So viel zum «Medienmarkt» Schweiz. Angesichts dieser Entwicklung ist es hirnverbrannt, das öffentliche Medienhaus der Schweiz halbieren zu wollen.

Die Volksabstimmung zu «No Billag 2» wird 2026 oder 2027 stattfinden. Der Ausgang ist offen, weil die Forderung verführerisch klingt.

Seit eineinhalb Jahren bin ich zusammen mit der Bewegung Courage Civil daran, in Fronarbeit eine Allianz gegen die Halbierungsinitiative aufzubauen. Sie heisst Allianz Pro Medienvielfalt. Du kannst Teil davon werden. Das kostet nichts – ausser drei Minuten Lektüre und dem Hinterlassen deiner Daten. Hier lang: https://www.pro-medienvielfalt.ch/

Wer Sascha Ruefer kritisiert, sollte auch die Rolle des Filmregisseurs hinterfragen

Sascha Ruefer liebt das Spektakel im Fussballstadion. Über Ostern geriet er selbst in den Strudel eines üblen Spiels, bei dem es um Rassismusvorwürfe und journalistische Ethik geht. Bislang wenig beleuchtet wurde die Rolle der Regisseurs, der den Dokfilm realisierte. Hätte der TV-Kommentator allerdings drei Punkte beachtet, wäre er nicht ins Offside getappt.


Während der Fussball-WM
in Katar gibt Ruefer dem Regisseur eines Dokfilms über die Schweizer Fussballnationalmannschaft ein Interview. Simon Helbling dreht dort im Auftrag von SRF für den Sechsteiler «The Pressure Game – im Herzen der Schweizer Nati». Der offizielle Teil dauert 45 Minuten. Für die Schnittbilder führen die beiden das Gespräch auf der Couch weiter, was weitere 20 Minuten Rohmaterial abwirft. In diesem «Off the record»-Teil machte Ruefer eine Aussage, die ihm jetzt um die Ohren fliegt.

Die ominöse Aussage wurde geleakt und landete schliesslich bei der Wochenzeitung WOZ, die am Gründonnerstag ihren Artikel mit dem Titel «Der Schweizermacher» lanciert. Bei ihr lautet das Zitat so: «Granit Xhaka ist vieles, aber er ist kein Schweizer.» Die WOZ reisst es aus dem Kontext und gibt ihrer Story einen eigenen Spin. Die Aussage sei «klar rassistisch», schreibt sie. Inzwischen ist der Kontext geklärt: Ruefer sprach nicht über die Person Xhaka, sondern über dessen Führungsverständnis als Kapitän der Nationalmannschaft.

Der Rassismus-Vorwurf zusammen mit den Reizfiguren Ruefer und Xhaka – dieser Mix ist explosiv. Auf Twitter zoffen sich alsbald Rassismus-Expertinnen und Fussballfans, die genau wissen, was richtig und was falsch ist. Über journalistische Standards wissen sie weniger Bescheid. Andere Medien ziehen nach, Clickbait winkt von der Seitenlinie und ein Sportjournalist gibt den TV-Star bereits zum Abschuss frei («Ohne Gegenbeweis ist SRF-Reporter Sascha Ruefer kaum zu retten»). SRF, Ruefer und die private Produktionsfirma gehen zunächst auf Tauchstation, der Brand greift um sich.

Schlaglicht auf die Krisenkommunikation: Am Gründonnerstag sortieren sich SRF und Ruefer. Am Karfreitag laden sie ein paar routinierte Sportjournalisten von «Blick», «Tages-Anzeiger», NZZ, CH-Media sowie «20 Minuten» ein und zeigen ihnen die Rohversion des Gesprächs, also die vollen 65 Minuten. Das stellt endlich den richtigen Kontext her – und wirkt: die Berichterstattung ist seit Samstag differenzierter, Ruefer wird entlastet.

Was ein paar Medien in der ersten Phase lieferten, war kein Ruhmesblatt. Ruefer ist allerdings selbst schuld, dass er ins Offside tappte. Drei Punkte, die bei Interview-Settings immer gelten:

– Schlüsselfiguren sollten stets einen «Watchdog» dabeihaben, das heisst eine Fachperson, die zusieht und genau zuhört. Ist eine Aussage problematisch oder falsch, interveniert sie sofort, also unschweizerisch direkt. Das ist in Doha genauso möglich wie in Diessenhofen oder Dublin.

– Auch in einem Dokfilm ist Kürze gefragt. Bei Interviews braucht es einen klaren Fokus und wenige Fragen dazu. Der Fokus wird im Vorfeld gemeinsam geklärt. Wer sich in ein langes Gespräch verwickeln lässt, kann ins Plaudern kommen. Routine und Selbstgefälligkeit sind in solchen Fällen gefährlich.

– Jedes Interview besteht aus einem Vorgespräch (hinter der Kamera, ohne Aufzeichnung!), dem eigentlichen Interview und einem dritten Teil, der sogenannte Einführungs- und Schnittbilder liefert. Sie zeigen den Gast beispielsweise lesend oder diskutierend. Wenn ich als «Watchdog» engagiert bin, lege ich stets im Vorfeld fest, dass im Nachgespräch ein unverfängliches Thema besprochen wird, etwa der letzte Urlaub. Keinesfalls darf es sich um das Hauptthema drehen.

Viele Regisseure zeichnen «off the record» auf – absichtlich

In Ruefers Fall wurden die Kameras nach dem Interview nicht gestoppt, das Gespräch ging aber «off the record» weiter. Viele Filmregisseure gehen absichtlich so vor, weil sie wissen, dass ihre Interviewpartner nach dem offiziellen «Schluss – das war’s!» entspannter antworten. Fakt ist, dass es journalistische Standards verletzt, wenn Aussagen aus einem «Off the record»-Gespräch verwendet werden. In der ersten Version von «The Pressure Game» war das ominöse Zitat drin.

Aus dem 65-minütigen Gespräch mit Ruefer schafften es nur ein paar wenige Quotes in den Film. Dass in der ersten Version just das problematische Zitat dabei war – aus dem Kontext gerissen –, mag Zufall sein. Vielleicht wollte Regisseur Helbling aber bewusst Öl ins Feuer giessen, zumal sich Ruefer schon seit Jahren an Xhaka reibt. Wäre die erste Version ausgestrahlt worden, hätte das zu einer kompletten Eskalation geführt.

Beim Autorisieren machte Ruefer die Produktionsfirma darauf aufmerksam, dass der ominöse Satz missverstanden werden könne und «off the record» gefallen sei. Daraufhin wird die Aussage aus der Rohschnittversion entfernt.

Regisseur Helbling veröffentlichte am Montagabend eine Stellungnahme. Darin hält er fest, die Kontrollmechanismen hätten «wie vorgesehen gegriffen». Das würde zutreffen, wenn er die missverständliche Aussage gar nie für eine Veröffentlichung vorgesehen hätte. Die belastende Situation, «vor allem für Sascha Ruefer, der diese mediale Vorverurteilung über sich ergehen lassen musste», bedauert er. Angemessen wäre es gewesen, nicht nur zu bedauern, sondern um Entschuldigung zu bitten. Ein ehrliches Exgüsé würde allerdings auch Ruefer gut anstehen, seine Aussage bleibt problematisch.

 

Dieser Text ist zeitgleich bei «Persönlich», dem Onlineportal der Kommunikationsbranche, erschienen. 


Nachtrag vom 13. April 2023:

Die «Wochenzeitung» nimmt sich diesem Thema erneut an. Sie erklärt, wie ihr Redaktor beim Artikel vor Wochenfrist vorgegangen war, wie sie die Sache sieht und weshalb sie die journalistische Sorgfaltspflicht nicht verletzt.

Fotos: getty images & keystone

Demokratie braucht starke Medien

In Deutschland torpediert die AfD seit Jahren die Rundfunkanstalten ARD und ZDF. In Grossbritannien kommt es immer wieder zu ruppigen Attacken auf die BBC, in Österreich wurde der ORF zur Zielscheibe. Das gilt auch für die SRG, übrigens keine öffentlich-rechtliche Anstalt, sondern ein Verein mit rund 22’000 Mitgliedern.

Vier Jahre nachdem das Schweizer Volk die No-Billag-Initiative mit 71,6 Prozent Nein versenkt hat, erfolgt bereits der nächste Angriff auf die kulturelle Vielfalt unseres Landes. Was die libertäre Truppe um SVP-Nationalrat Thomas Matter und Gewerbeverbands-Direktor Hans-Ulrich Bigler gestern präsentierte, nennt sie SRG-Initiative, «200 Franken sind genug».

Um einen auf Jay Badran zu machen: Ich habe ein Déjà vu, gopfverdammi!. Bei Lichte betrachtet ist diese Volksinitiative eine «No Billag 2». Für gewisse Leute ist Demokratie offenbar ein Flipperkasten. Was wir vor ein paar wenigen Jahren mühsehlig durchkauten, muss also jetzt schon wieder sein. Und natürlich blenden die Initianten aus, dass die Haushaltabgabe innerhalb von fünf Jahren um 25 Prozent reduziert wurde.

Der Krieg in der Ukraine führt uns gerade vor Augen, wie wichtig unabhängiger Journalismus ist. So agieren die russischen Medien als Propagandakanäle von Putins Regime. Wir in der Schweiz haben hingegen Zugang zu ausgewogener und verifizierter Information. Mehrere Medienschaffende von Schweizer Radio und Fernsehen sind vor Ort oder zumindest in der Region (Luzia Tschirky, Christof Franzen, für RTS Tristan Dessert), während mit David Nauer ein langjähriger ehemaliger Russland-Korrespondent von hier aus für Kontext und Analyse sorgt. Dieses Team hat bislang sehr gute Arbeit geleistet, ergänzt durch den 24/7-Service von Radio SRF4 News.

Informations- und Hintergrundsendungen sind in der kleinräumigen und viersprachigen Schweiz teuer. Aber: Demokratie braucht starke und unabhängige Medien. Eine überzeugende Studie zeigt, dass Staaten mit einem starken Service Public solidere Demokratien sind.

Die Freiburger Ständeratin Isabelle Chassot bringt einen anderen Aspekt ein: «Wir kommen aus einer beispiellosen Krise, die unserer Gesellschaft sehr zugesetzt hat. Und gerade jetzt, in einer Zeit der Polarisierung, erfolgt mit „No Billag 2“ ein erneuter Angriff auf die Medienvielfalt. Ein Ja zu dieser Initiative würde das Angebot an Information, Kultur und Sport drastisch reduzieren. Die Konsequenz wäre mehr Zentralisierung und weniger Schweiz.»

Ich will für Transparenz sorgen: Nachdem der SRG-Verwaltungsrat 2018 entschieden hatte, den Radiostandort Bern zu zerstückeln, war für mich klar: Egal, was passiert, das öffentliche Medienhaus der Schweiz kann nach diesem intelligenzfreien Beschluss nie mehr auf mich zählen. Während meiner Wanderungen im letzten Herbst kam das Thema allerdings immer wieder hoch und meine Entscheidung geriet ins Wanken. In der Weihnachtszeit, als klar wurde, dass die «Halbierungsinitiative» lanciert wird, kippte ich ganz. «So nicht!», sagte ich mir. Diesem erneuten Frontalangriff auf die Vielfalt der Schweiz muss ich entgegenhalten.

Die letzten Wochen habe ich zusammen mit einer kleinen Gruppe der Bewegung Courage Civil damit begonnen, die Allianz «Pro Medienvielfalt» aufzubauen.

Sie hat einen langen Weg vor sich, aber die Debatte um Medienvielfalt, Relevanz und Service Public müssen wir führen. Zunächst gilt es allerdings, diesen Kahlschlag namens «No Billag 2» abzuwehren.

Auf der Website ist eine Grundsatzerklärung aufgeschaltet. Wer sie mitträgt, kann sie unterzeichnen und so Teil der Allianz «Pro Medienvielfalt» werden.

Weshalb ein Ja zum Medienpaket besser ist


Je näher der Abstimmungstermin
 zum Mediengesetz rückt, desto mehr steigt der Lärmpegel. So brüllten sich im letzten «Club» von SRF drei Protagonisten von Anfang bis am Schluss immer wieder an. Sie erinnerten an Halbstarke im Schulhof, die Moderatorin versagte. Eine bizarre Sendung.

Ich will ein paar Punkte klären.

Zunächst, wo liegt die Wurzel des Problems? In den letzten 14 Jahren sind die Werbeeinnahmen der Zeitungen um 75 Prozent eingebrochen. Das ist dramatisch. Weit mehr als eine Milliarde Franken fliessen inzwischen pro Jahr zu den Tech-Giganten Facebook und Google, ohne dass sie hier Steuern bezahlen würden.

Das Massnahmenpaket zugunsten der Medien stabilisiert die Branche und kostet maximal 151 Millionen Franken pro Jahr. 70 Millionen davon gehen direkt an die Post, weil sie für die Zustellung der Zeitungen sorgt.

Das Medienpaket besteht aus insgesamt neun verschiedenen Teilen. Ausgesprochen wichtig ist, dass der Presserat, aber auch die Aus- und Weiterbildung im Nachrichtenjournalismus gestärkt werden. Darüber wurde im Verlauf des Abstimmungskampfes noch kaum ein Wort verloren.

Es geht bei der Abstimmung vom 13. Februar auch darum, kleine unabhängige Medienhäuser zu stärken, die Zeitungen herausgeben wie das «Bieler Tagblatt», die «Neue Fricktaler Zeitung», «Die Botschaft» (unteres Aaretal), die «Schaffhauser Nachrichten», den «Rheintaler», die zweisprachige «Engadiner Post», den «Corriere del Ticino», den «Walliser Boten», die «Freiburger Nachrichten» oder das «Journal Du Jura».

Diese Titel liefern die mediale Grundversorgung, gedruckt und online, aus der Region, für die Region, unspektakulär und nahe bei den Menschen.

Dass die grössten Medienhäuser ebenfalls profitieren, ist die Kröte, die wir schlucken sollten. Das Modell ist degressiv ausgestaltet, d.h. Zeitungen mit einer grossen Auflage kriegen pro Exemplar weniger Geld als Kleine. Die Kleinen profitieren überproportional von der indirekten Presseförderung. Diese wurde übrigens bereits 1849 von den Freisinnigen im Postgesetz festgeschrieben.

Dass im Sog der «Republik» neue Online-Medien entstehen, ist erfreulich und stärkt die Medienvielfalt. Die Anschubfinanzierung ist auf höchstens 30 Millionen Franken pro Jahr limitiert. Das Geld wird nicht mit der Giesskanne verteilt. Vielmehr ist die Höhe der Unterstützung abhängig von den Einnahmen, die jeder Start-up aus eigener Kraft generiert. Mit einem Ja können sich die neuen Online-Medien, etwa die «Hauptstadt» in Bern, eher etablieren. Ihre direkte Förderung ist auf sieben Jahre beschränkt.

Fazit: Das Massnahmenpaket überzeugt nicht in allen Teilen, aber ein Ja ist besser für die darbenden Medienhäuser und die Menschen ausserhalb der grossen Ballungsräume. Nach einem langen Prozess des Abwägens habe ich mich entschlossen, Ja zu stimmen.

Bei einem Nein gewinnen die Kreise, die jetzt laut «Staatsmedien!» rufen, aber kein Problem haben damit, wenn private Financiers mit einer (verdeckten) politischen Agenda einsteigen. Auf dieser Agenda steht die Halbierungsinitiative aus dem Stall der SVP-Millonarios.

PS:
– Wer beim Abstimmen noch unschlüssig ist: Die Bewegung Courage Civil hat eine neutrale Herleitung zum Thema erarbeitet, die erst am Schluss in eine Empfehlung mündet. Dazu gibt’s dort einige weiterführende Links.
– Ein beachtlicher Teil der Nein-Kampagne wird mit dem Schlagwort «Staatsmedien» bestritten. Es ist ideologisch aufgeladen, beim näheren Hinsehen allerdings irreführend. Matthias Zehnder, auch er ein unabhängiger Beobachter der Medienszene, seziert das Thema. Es sind gut investierte acht Minuten, die es für die Lektüre seiner Analyse braucht.

Susanne Wille ist ein Profi, kein Star

Wir trafen uns zum ersten Mal an einem schönen Frühsommertag im Jahr 1999. Baden, ABB-Areal, Medienkonferenz. Beide waren ein paar Minuten vor dem Start schon da. Susanne Wille kam auf mich zu und stellte sich vor. In Journikreisen kommt das selten vor, es zeigt eine Wesensart von ihr. Sie arbeitete damals für den Regionalsender «Tele M1», ich für Radio SRF. «Sympa», dachte ich.

Wir lebten in derselben Kleinstadt und so kam es, dass wir uns fortan ab und zu auf einen Kaffee trafen. Unsere Gespräche sind mir in lebhafter Erinnerung: Susanne war breit interessiert, aufmerksam, klug, reflektiert, schnell und charmant. Wir sprachen über Politik und Medien, manchmal auch über Privates oder Edinburgh, und uns verband die Liebe zur spanischen Sprache.

Als bei «10vor10» Moderatorin Eva Wannenmacher, auch sie eine Aargauerin, ihren Abgang ankündigte, wollte ich Susanne ermuntern, sich zu bewerben. Sie war im Endspurt ihres Studiums und hatte bei «Tele M1» bereits mit Moderieren begonnen, was sie von Anfang an gut machte. Meine Ermunterung war nicht nötig, «scho gmacht», sagte Susanne und zwinkerte mit den Augen.

Bei SRF hat Wannenmacher hatte das Nachrichtenmagazin nach aussen geprägt. Sie war eloquent, ungemein präsent und telegen. Diese Fussstapfen und die Erwartungen an Wille waren gross. Sie bewarb sich, kriegte den Job, machte ihren Weg, bewies sich in mehreren Sendegefässen und Rollen, und sie wurde Mutter von drei Kindern. Den wichtigsten Antrieb im Journalismus hat sie auch nach 20 Jahren in diesem Geschäft immer noch: Neugierde, echte Neugierde. Sie will es genau wissen, sie will es verstehen.

Eine weiteres Qualitätsmerkmal von ihr ist die akribische Vorbereitung auf Themen und Interviewgäste. Deshalb stürzte sie nie ab, wenn sie Sendungen moderierte, durch eine Gala führte, Bundesratswahlen kommentierte, einen amerikanischen Schriftsteller traf oder Kinder in einem Slum porträtierte. Sie ist Profi. Die Titel, die der Boulevard über sie in die Welt hinaus pustet, etwa «Miss Perfect» oder «Allzweckwaffe», sind dümmlich. Ein Wort reicht: souverän.

TV-Fabriken sind ein Hort von Eitelkeiten, Intrigen, Zynismus, verletzten Seelen, vielen Gärtchen und Chefs, die ihre Position legitimieren müssen. Das gilt auch für den «Leutschenbach» am Stadtrand Zürichs. Die Fernsehwelt ist eine andere als die reale, aber es gibt Medienschaffende, die diesen Unterschied irgendeinmal auszublenden beginnen. Es drängt viele vor die Kamera. Nicht alle haben das Zeug dafür. Nicht alle merken es selber.

Diejenigen, die es schaffen, benehmen sich nicht selten wie Stars. Zuweilen entsteht der Eindruck, es gehe ihnen mehr um sie, als um den Inhalt der Sendungen oder ihre Gäste.

Susanne, so meine Beobachtung aus Distanz, blieb trotz ihrem Erfolg und der vielen Fanpost stets auf dem Boden. Der Journalismus, präziser: Qualitätsjournalismus treibt sie um wie damals als Studentin bei unseren Gesprächen in den Cafés von Baden. Das zeigt ihre Kolumne in der «Aargauer Zeitung» seit Jahren, in der sie gescheit herleitet und argumentiert – ein Beispiel aus dem Jahr 2017.

Mit Kritik kann sie umgehen, was nicht für alle ihre Arbeitskollegen gilt, die oft mit einem verschnupften «Das kann man so sehen» reagieren.

Dass Susanne Wille das Scheinwerferlicht nicht braucht, zeigt ihre Entscheidung, in Zukunft nicht mehr zu moderieren. Gestern führte Sie zum letzten Mal durch «10vor10». Künftig wird sie hinter den Kulissen wirken – als Chefin der SRF-Abteilung Kultur, ein Laden mit vielen Gärtchen und Egos. Ich zweifle nicht daran, dass sie auch in dieser Tätigkeit reüssieren wird.

Über unseren Medienkonsum während der Corona-Krise


Bizarre Zeiten!

Von Viren, Immunsystemen und Epidemien verstehe ich nichts. Dafür von Medien. Sie haben während der Corona-Krise einen beträchtlichen Einfluss auf unsere Gesundheit. Darum geht es in diesem Posting.

Das Interesse der Menschen rund um das Thema Corona ist enorm. So schauten am Sonntagabend beispielsweise fast 1,5 Millionen Leute die Hauptausgabe der SRF-«Tagesschau». Das sind mehr als doppelt so viele wie normal. Die NZZ berechnete, dass in den letzten vier Wochen in den Schweizer Medien 18’736 Artikel mit den Schlagworten «Coronavirus» oder Covid-19» erschienen sind. Pro Tag entspricht das 625 Artikeln. (Die Radio- und Fernsehbeiträge wurden dabei nicht eingerechnet.)

Täglich 625 Artikel in Zeitungen und Online-Portalen – das ist erschlagend!

Ich verarbeite etwa 10 oder 15 Prozent dieser Corona-Nachrichtenflut. «Spinnsiech!», denkt ihr jetzt vermutlich. Stimmt, aber ich bin mehr als mein halbes Leben lang von Berufes wegen «heavy user» – offline und online – und deshalb allerhand gewohnt.

Was ich aber schon Mitte Februar machte: Ich stellte alle Push-Nachrichten ab, und ich kann euch nur empfehlen, dasselbe zu tun. Sie suggerieren, uns zu informieren, dabei verzerren sie das Thema und lösen Stress aus.

Was wir vielmehr brauchen, sind Fakten und eine regelmässige Einordnung. Gut eignet sich dafür die Website des Bundesamts für Gesundheit (BAG), die ich hier verlinke, und dessen Facebook-Page. Des Teufels sind die Verschwörungstheoretiker und Youtube-«Doktoren», die wieder aus ihren Löchern hervorgekrochen sind.

Die Medien haben bislang einen guten Job gemacht. Klar, es ist ein Overkill. Klar, es gab auch ein paar Ausreisser und zuweilen beschlich mich der Verdacht, dass das Clickbaiting immer noch eine Rolle spielt. Den Vorwurf, viele relevante Artikel seien hinter einer Bezahlschranke, teile ich nicht. Es gibt genügend Medien, deren Angebote frei zugänglich sind. So berichtet SRF beispielsweise zuverlässig, umfassend und vor allem: einordnend. Wäre vor zwei Jahren die No-Billag-Initiative angenommen worden, bestünde der Service Public jetzt nicht mehr.

Freunde von mir sind zurzeit newssüchtig, sie kleben stundenlang an ihren Geräten. Auf die Dauer ist das gefährlich, weil man ausbrennt. Einmal pro Tag News zu konsumieren würde ausreichen, finde ich. Entscheidend ist, dass das Thema eingeordnet wird. Wer nicht lesen mag: Radio SRF4 News – auf DAB und im Netz verbreitet – liefert 24/7 einen ausgezeichneten Service, Einordnung inklusive.

So, ich gurgle jetzt mit lauwarmem Wasser, was die Schleimhäute geschmeidig hält, und bummle dann zum «Rosengarten». Dort inhaliere ich 15 Minuten lang den prallen Frühling, komme wieder nach Hause, wasche die Hände ausgiebig mit Seife, tausche den Hoodie mit einem neuen Hemd ein, setze Kaffee auf und mich an den grossen Tisch in der Stube. Bevor ich den Deckel des Macbooks aufklappe und zu arbeiten beginne, sage ich laut in den Raum hinein: «Kick the bucket, Corona!» Das klang schon gestern saugut.

Schlaft viel. Bleibt optimistisch. Lacht regelmässig. Fletscht mit den Zähnen. Konsultiert die Website des BAG. Gurgelt mehrmals täglich, wie diese ETH-Professorin rät.

«Bike to Work» am arbeitsfreien 1. August

Die Etappen meiner diesjährigen Sommertour über die Alpen hatte ich präzis geplant. So ist es kein Zufall, dass ich am 1. August den Gotthardpass hinaufkurbelte. Ich wollte am Bundesfeiertag über unser Land nachdenken, während ich dieses gigantische, geschichts- und symbolträchtige Bergmassiv leise keuchend von allen Seiten bestaunte.

Es war ein Zufall, dass just während einer Verschnaufpause der mobile Hirnikocher vibrierte. Am anderen Ende SRF-Redaktorin Ivana Imoli. «10vor10» würde etwas zum 25-Jahr-Jubiläum des arbeitsfreien 1. August machen, der auf eine Volksinitiative zurückzuführen ist. Ob ich dazu Auskunft geben könne, fragte sie. «Nun ja», druckste ich herum, im Prinzip schon. Aber ich würde derzeit auf der alten Gotthardstrasse kleben, und das in einem Velodress, was bei mir besonders lächerlich aussehe. Imoli musste lachen.

Wir fanden einen Ausweg: Ich fuhr die Etappe zu Ende, duschte im Hotel und kurz darauf rauschte auch schon ein «10vor10»-Duo mit dem Auto heran. Der routinierte Kameramann fand im Nu einen guten Standort, um das Gotthardmassiv und meine Soundbites einzufangen.

Fazit: Ich fuhr am 1. August ziemlich weit zur Arbeit. Das war «Bike to Work adapted»! Als Belohnung konnte ich heute die Tremola hinunterbre-t-t-t-t-ern, 12 Kilometer und viele wunderbare Haarnadelkurven ging es nidsi.

Den Hintergrundbeitrag von «10vor10» zum 1. August gibt es hier zum Nachschauen.

Der Preis für diese Zentralisierung ist zu hoch


Die Würfel sind gefallen
: Die meisten Berner Redaktionen von Radio SRF werden in Zürich zentralisiert. Rund 150 Vollzeitstellen werden verlegt, in der Bundesstadt verbleiben 32. Das kommt einer Verstümmelung des Radiostandorts Bern gleich.

Der Verwaltungsrat der SRG folgte heute dem Antrag der Unternehmensleitung. Ob die Züglete überhaupt einen Spareffekt hat, ist allerdings umstritten. Offiziell wird er mit 5 Millionen Franken beziffert, laut SRG-internen Quellen teilweise nur von 2,6 Mio. Franken. Im Kontext mit dem gesamten Sparpaket reden wir also von 5 bzw. 2,6 Prozent. Das ist lächerlich. Kann das Hochhaus der SRG-Generaldirektion am Stadtrand Berns, das jährlich 4,3 Mio. Franken Miete kostet, nicht abgestossen werden, verpufft der Spareffekt komplett.

Betriebswirtschaftliche Aspekte sind das eine, zentral wären indessen andere gewesen: Föderalismus und Qualitätssicherung. Offensichtlich wollte der Verwaltungsrat aber den neuen Generaldirektor Gilles Marchand nicht desavouieren. Dass die Digitalisierung dezentral nicht vorangetrieben werden könne, ist allerdings ein lausiger Treppenwitz!

Mit seinem Ja zum Zentralisierungsprojekt verliert die SRG einen Teil ihrer Wurzeln, ein Riss geht durch die Trägerschaften. Das Medienhaus der Schweiz büsst viel Kredit ein bei den Leuten, die am 4. März wegen den überzeugenden Radio-Inhalten Nein zu «No Billag» gestimmt hatten.

SRF-Direktor Ruedi Matter und seine Entourage wollten diese Zentralisierung, egal zu welchem Preis. Schon Anfang April war für sie klar, dass es keine andere Option geben kann. Sie haben alles getan, um ihr Projekt durchzubringen. Dass man die Belegschaft am Standort Bern hätte Schritt für Schritt mitnehmen müssen, daran dachte man nicht. Oder es fehlte Matter an Mut und Sozialkompetenz. Der Preis dieser Fehlentscheidung ist hoch, zu hoch: Der Vertrauensverlust ist immens, viele gute Radioleute werden abspringen, eingespielte Sendeteams fallen womöglich auseinander, SRG-Supporter gehen auf Distanz.

Werden die Informations- und Hintergrundsendungen durch die Hektik des Newsrooms in Zürich verflacht, setzt eine gefährliche Erosion ein. Im Zeitalter von Push-Nachrichten, Fake-News und Clickbaiting könnte die SRG ihre Raison d’être verlieren. Die privaten Medienhäuser liefern je länger, je mehr industriell produzierten Journalismus. Die gebührenfinanzierte SRG überlebt langfristig nur, wenn sie sich klar differenziert und in der Sparte Information überzeugt.

Während des langen Kampfs gegen «No Billag» wiederholten wir einen Satz immer wieder: «Was einmal kaputt ist, ist kaputt.» Er hat auch nach dem heutigen Fehlentscheid wieder Gültigkeit. Aber eben: Er ist irreversibel. Wenn in ein paar Jahren die Halbierungsinitiative anrollt, können wir ihn erst recht verfluchen.

P.S.
Weil ich seit Monaten regelmässig mit den selben drei Punkten konfrontiert werde, will ich hier in aller Deutlichkeit etwas festhalten: Lokalpatriotismus ist nicht mein Ding. Und auch die langen Pendlerwege für viele Mitarbeitende der Berner Radiocrew zum Leutschenbach waren für mich kein Argument gegen die Zentralisierung. Dass der Anti-Züri-Effekt bei anderen Leute spielte, ist offensichtlich, nicht aber bei mir. Es geht um das «Big Picture».

Jetzt hilft nur noch der Druck der Öffentlichkeit

Wir leben im Zeitalter von Fake News, Push-Nachrichten und Glarner-Funiciello-Ringkämpfen. Noch haben wir Alternativen zu schnell hingeworfenen News und belanglosen Storys. Geht es um Einordnung, Hintergrund und Analyse sind Sendungen wie «Echo der Zeit», «Rendez-vous» und «Heute Morgen» von Radio SRF zuverlässige Anker im Sturm. Sie überzeugen durch Qualität und erreichen die Massen – linear, zunehmend auch mit Podcasts.

Produziert werden diese Sendungen, aber auch die Nachrichten und SRF4 News seit jeher in Bern, die Fachredaktionen Wirtschaft, Inland und Ausland sind dort angesiedelt, ebenso die Korrespondentinnen und Korrespondenten. Das hat für Kontinuität und eine Bündelung an Know-how gesorgt. Und es brachte eine Kultur hervor, die unbezahlbar ist.

Doch die SRG- und SRF-Spitze will nun praktisch die gesamte Abteilung Information von Radio SRF von Bern nach Zürich verlegen. Betroffen wären rund 150 Vollzeitstellen (siehe Grafik unten). Zunächst wurde das Zentralisierungsprojekt als Sparmassnahme angepriesen. Als der Spareffekt schon bald auf drei bis maximal fünf Prozent des gesamten Sparprogramms zusammensackte, musste ein neues Zauberwort her: Digitalisierung. Der Bereich «Forschung und Entwicklung» könne nur systematisch vorangetrieben werden, wenn alle Beteiligten unter einem Dach seien, erklärte SRF-Direktor Ruedi Matter in einem Interview. Das Gegenteil trifft zu: Gerade die Digitalisierung eröffnet Möglichkeiten, um dezentral zu arbeiten. In allen Branchen. (Nebenbei: Die Renovation und der Ausbau des Radiostudios am jetzigen Standort kostete in den letzten Jahren insgesamt 30 Millionen Franken. Wird die Zentralisierung durchgeboxt, soll die Generaldirektion in die Radio-Liegenschaft an der Schwarztorstrasse umziehen. Sie müsste also erneut umgebaut werden, was erneut viel Geld kostete.)

Was bedeutete die Zentralisierung im Leutschenbach?

An einem Pult im Newsroom würde entschieden, wer welche Themen wie aufzubereiten hat. Die Folge wäre Gleichschaltung, der Wettbewerb der Redaktionen und die Differenzierung der Gefässe fallen weg. Die Beiträge werden in Einzelteile zerlegt und von anderen Journalisten über die verschiedenen Vektoren, also TV, Radio und Online, ausgespielt. Kurzfutter überall. Der Autor bzw. die Autorin des Beitrags hat keinen Einfluss mehr auf die weitere Verwertung ebendieses Beitrags. Das ist die Industrialisierung des Journalismus; sie macht ihn kaputt.

Die Bauarbeiten für einen Newsroom im Leutschenbach sind bereits im Gang. Damit ich hier nicht falsch verstanden werde: Ja, SRF soll einen Newsroom betreiben – für die schnelle Information! Egal auf welchem Vektor. Aber das reicht nicht. Die SRG-Sender können sich auf die Dauer nur halten, wenn sie auf Einordnung, Hintergrund und Analyse fokussieren. Dafür bezahlen die Leute gerne Empfangsgebühren. Das Radio ist prädestiniert dafür, TV hingegen bringt primär Themen, die sich bebildern lassen, Sport und Unterhaltung. Online wiederum ist stark auf Videosequenzen angewiesen, zudem sind diesem Vektor enge Grenzen gesetzt, was die Länge der Texte betrifft.

Das Bedürfnis nach fundierter Berichterstattung wird wachsen, zumal die privaten Medienhäuser auf Clickbaiting setzen und kein festes Korrespondentennetz mehr in den Regionen und im Ausland haben. Investigativer Journalismus wird noch wichtiger. Doch wer kann und will ihn ab dem Jahr 2025 noch bieten? Die SRG? Die WOZ? Die Republik, wenn sie überlebt? Hoffentlich die NZZ. Und sonst?

Stille.

Relevante Radiobeiträge kommen linear, als Podcast (also on demand) oder auf eine Art, die wir heute noch gar nicht kennen. Neue Formen werden entstehen, Radio ist dynamisch und kostengünstig.

Überzeugende Informations- und Hintergrundsendungen am Radio bedingen Distanz zum Newsroom und damit auch zu Zürich-Leutschenbach. Sonst droht die Verflachung des Angebots, starke Marken wie «Heute Morgen», «Rendez-vous» und «Echo der Zeit» verlören an Bedeutung, und damit würde eine unheilvolle Erosion einsetzen. Newsroom und Hintergrund – das sind zwei Kulturen. Unter einem Dach passen sie nicht zusammen, das Hintergründige würde verwässert.

Aus diesem Grund muss dieses Zentralisierungsprojekt jetzt endlich gestoppt werden. Schluss mit diesem Unfug à la McKinsey! Anders als bei «No Billag» können wir nicht mit einer Volksabstimmung kraftvoll «Njet» sagen. Hintergrundgespräche und politischer Druck haben in den letzten Monaten nicht zu einem Übungsabbruch geführt. Also hilft nur noch der Druck der Öffentlichkeit. Und damit liegt der Ball bei dir/Ihnen! Es geht darum, jetzt Farbe zu bekennen. Auf der Strasse.

Am Donnerstag, 30. August, 19 Uhr, wird auf dem Bundesplatz eine Kundgebung für den Radiostandort Bern stattfinden. Dabei geht es um viel mehr als den Standort von Radio SRF in Bern. Es geht um Föderalismus. Um Qualität. Um Demokratie. Und um den Medienplatz Schweiz.

Selbst wenn an jenem Abend andere Alternativen locken: Kommet zahlreich!

P.S.
Die Crew des Radiostudios Bern hat im Verlauf des Sommers ein Papier erarbeitet, das aufzeigt, wie ein Audio-Kompetenzzentrum in Bern aufgebaut werden könnte – Leseempfehlung.


Zur Grafik: Wie die Abteilung Information von Radio SRF in Bern heute aussieht, und wie sie sich nach der Zentralisierung präsentieren würde: