Es ist kurzsichtig, der SRG die Mittel weiter zu kürzen


Der Bundesrat verordnete gestern, dass die Empfangsgebühren für Radio und Fernsehen von 335 auf 300 Franken pro Haushalt sinken. Es handelt sich um die dritte Reduktion seit 2017. Albert Rösti & Co. versuchen damit, der Halbierungsinitiative der SVP den Wind aus den Segeln zu nehmen (diese fordert 200 Franken).

Ich halte diese Entscheidung für falsch und mutlos.

Wenn etwas geändert werden soll, wird üblicherweise zuerst abgeklärt, was es in Zukunft braucht. Erst dann fragt man nach dem Preis. Ich gehe auch nicht in den Supermarkt und frage an der Kasse, was ich für 50 Franken kriege. Vielmehr überlege ich mir, was ich an Vitaminen, Kohlenhydraten und Proteinen brauche, um mich gesund zu ernähren. Also fülle ich meinen Korb entsprechend und bezahle an der Kasse, was die Lebensmittel kosten.

Gesunde Ernährung ist auf die Dauer wichtig, sonst gibt es Mangelerscheinungen. Genauso ist es beim Medienkonsum. Ohne unabhängige Information, einen breiten Service public, Unterhaltung und Live-Sport, verkümmert etwas. Junk macht krank.

Die Reduktion für private Haushaltungen und das Wegfallen der Unternehmensabgabe für weitere 60’000 Firmen hat einschneidende Auswirkungen. Nach 2018/2019 kommt es zu einem weiteren Leistungsabbau. Würde man ihn ausschliesslich aufs Personal abwälzen, müssten grob berechnet 850 Stellen weg.

Das wird nicht passieren. Aber das Angebot wird spürbar reduziert. So wie die Menschen in unserem Land funktionieren, werden sie unzufrieden sein, wenn die Sparübungen dereinst umgesetzt sind.

Was der Bundesrat verordnet, ist der falsche Weg. Aus drei Gründen:

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Die Kaufkraft für einen privaten Haushalt steigt wegen einer Differenz von 35 Franken pro Jahr kaum merklich.
👉 Die libertäre Truppe um Nationalrat Thomas Matter (SVP) wird ihre Halbierungsinitiative nicht zurückziehen, sondern weiterhin Lärm machen und Desinformation betreiben.

👉 Ein Gegenvorschlag aus dem Parlament ist damit nicht vom Tisch, im Gegenteil: Einzelne Figuren werden versuchen, die Unternehmen noch weiter zu entlasten. Zur Klärung: Schon jetzt sind rund 75 Prozent aller Firmen von der Serafe-Abgabe befreit.

Dass Firmen ab einer gewissen Umsatzgrenze etwas bezahlen müssen, finde ich richtig. Ein Beispiel: Eine Autogarage mit 4 Millionen Franken Umsatz bezahlt zurzeit 900 Franken pro Jahr. Von morgens bis abends läuft bei ihr das Radio – im Büro und in der Werkstatt. Das darf etwas kosten.

Journalismus ist kein Geschäftsmodell mehr, den privaten Medien in der Schweiz geht das Geld aus. Inzwischen fliessen jedes Jahr 2 Milliarden Franken an Werbegeld zu den Tech-Giganten, also zu Amazon, Google und Meta (Facebook & Co.). Die Konsequenzen: Abbau, Abbau und nochmals Abbau. Vor wenigen Wochen hat der Medienkonzern TX Group (Tamedia) die nächste Sparrunde angekündigt. CH-Media wiederum gab gestern bekannt, 150 Stellen abzubauen.

Angesichts dieser Entwicklungen ist es kurzsichtig, dem öffentlichen Medienhaus noch mehr Mittel zu entziehen. Vergesst das mit den gleich langen Spiessen – sie sind zerbrochen! Die SRG ist nicht schuld daran, dass Werbegeld mehr und mehr im Ausland investiert wird. Wenn sie weiter geschwächt wird, geht es den privaten Medien nicht besser – im Gegenteil: Die Spirale dreht weiter abwärts.

Ich bin besorgt – du auch? Sich bei der Allianz Pro Medienvielfalt einzutragen, ist der nächste Schritt. 2500 Einzelpersonen haben das schon getan. Wir müssen wachsen. Hier lang.

 

 

Ergänzend: Ein unaufgeregter Text aus dem «Journal 21» zeigt auf, weshalb ein unabhängiger öffentlicher Rundfunk so wichtig ist.

 

 

Foto: Radio SRF

Auf dem Medienplatz Bern entsteht Einheitsbrei

Der grösste Medienkonzern der Schweiz, die TX Group (bis 2020: Tamedia), will in Bern nun also auch noch die bislang eigenständigen Regionalredaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» komplett verschmelzen. Der identische Inhalt soll in beiden Titeln in ihren altbekannten Layouts verbreitet werden. Der Fusionsprozess beginnt im April nächsten Jahres. Auf dem Medienplatz Bern entsteht damit ein Monopol. Demokratiepolitisch ist das problematisch.

Zunächst ein paar Fakten und Zusammenhänge:

– In den letzten fünf Jahren hat die TX Group (früher Tamedia) einen Reingewinn von 852 Millionen Franken erwirtschaftet und Dividenden in der Höhe von 225 Mio. Franken ausgeschüttet (für die Geschäftsjahre 2015 bis 2019). Das freute die Aktionäre und das Management, welches zum Teil fette Boni erhielt.

– Im Frühling beantragte die TX Group Kurzarbeit. Trotz Kritik im Vorfeld der GV wurde an einer Dividende in derselbe Höhe wie in den Vorjahren festgehalten, auch Boni wurden ausbezahlt. Auf nationaler Ebene ist seit Jahren ein intensives Lobbying für staatliche Unterstützung der grossen Medienhäuser im Gang.

– In den letzten Jahren wurde die ohnehin schon schwach dotierten Regionalredaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» weiter schleichend ausgedünnt (z.B. einige Abgänge nicht ersetzt). Schon im Sommer 2017 hatte ich vor der kompletten Fusion gewarnt.

– Eine Befragung von 4000 Abonnentinnen und Abonnenten, die wir 2009 seitens des Komitees «Rettet den Bund»  durchgeführt hatten, zeigte auf, dass das Ressort Bern für sie am wichtigsten ist (zusammen mit dem Ressort Inland). Die Konzernspitze foutierte sich um diesen klaren Befund.

– Dass es sich lohnt, in Personal und Qualität zu investieren zeigt das Beispiel der «Zeit». Die Wochenzeitung aus Hamburg hat heute eine grössere Auflage als vor 20 Jahren. In unserem Land konnte dieser Qualitätstitel seine Abonnentenzahl in den letzten zehn Jahren massiv erhöhen – auch dank den drei Schweiz-Seiten pro Ausgabe. Guter Journalismus ist gefragt. Er darf etwas kosten und rentiert.

– Vor vier Wochen gratulierte Verwaltungsratspräsident Pietro Supino in einem Gastbeitrag dem «Bund» zu seinem 170-Jahr-Jubiläum. Er sei stolz, diesen Titel in seinem Portfolio zu haben. Zugleich drohte er der Politik: Wenn das Medienförderungsgesetz nicht in seinem Sinne ausgestaltet werde, sei der Fortbestand des «Berner Modells» (beide Zeitungen werden unter einem Dach herausgegeben, bleiben aber publizistisch unabhängig) nicht mehr gesichert.

Meine Einschätzung: Die beinharten Medienmanager interessieren sich nicht für Publizistik. Es geht ihnen nur um Rendite. Sie glauben daran, dass diese mit knalligen Storys und vielen Clicks eingefahren werden. Unternehmungen sollen Gewinn machen, keine Frage. Allerdings zweifle ich daran, dass Journalismus gleich produziert und verkauft werden sollte wie Billig-Hundefutter.

Mit der Vollfusion von «Bund» und «Berner Zeitung» entsteht ein Einheitsbrei. Ob das die Leserinnen und Leser goutieren, ist offen. Der «Bund» bedient ein urbanes Publikum, die «Berner Zeitung» ein ländliches.

Ich bin nicht Gewerkschafter, sondern ein besorgter Staatsbürger, der seine Augen nicht vor der Realität verschliesst: Im Mediengeschäft herrscht ein intensiver Verdrängungskampf, die Auflagen der gedruckten Zeitungen sinken, die Werbeeinnahmen brechen weg, Google, Facebook und Amazon machen den grossen Reibach. Während Jahrzehnten bildeten die Rubrikeninserate für Immobilien, Autos, Stellen, käufliche und ewige Liebe das ökonomische Rückgrat für die Zeitungen. Inzwischen sind sie fast komplett ins Netz abgewandert, wo sie weniger abwerfen.

Nur: «Berner Zeitung» und «Bund» waren in den letzten Jahren wie alle anderen Titel im Tamedia-Portfolio profitabel, die Renditen gemäss Medienökonomen höher als während den goldenen Zeiten der Zeitungen ohne Internet. Einen Teil der Gewinne hätte man in die beiden Regionalredaktionen investieren können – nein, müssen! Stattdessen wurden beim «Bund» immer weiter Stellenprozente reduziert. Und bei der «Berner Zeitung» fiel die Wochenendbeilage «Zeitpunkt», während vieler Jahre ein leuchtendes Beispiel für Qualitätsjournalismus, dem Sparhammer zum Opfer.

Der Ausblick: Im Grossraum Bern mit seinen rund 350’000 Menschen hat es Platz für ein neues Online-Portal, das guten unabhängigen Journalismus bietet. Projekte in anderen Ballungsräumen zeigen, dass es durchaus Optionen gibt, etwa «Tsüri» (Zürich), «bajour» (Basel), «Die Ostschweiz» (St. Gallen) oder «ZentralPlus» (Zentralschweiz). Und auch die «Republik» kann es schaffen.

Was es jetzt braucht, sind Leute mit Knowhow, Zeit und Kapital, die ein neues Kapitel Berner Mediengeschichte schreiben wollen. Wenn es gewünscht sein sollte, koordiniere ich die ersten Schritte dafür. Vom Komitee «Rettet den Bund» her haben wir viele Adressen zur Verfügung. Das ist ein Start.

Nachtrag:
Eine ausgesprochen solide Zusammenfassung zu den Herausforderungen auf dem Medienplatz liefert Nick Lüthi in der «Medienwoche».

– Was ich Radio SRF4 News zu dieser Fusion sagte – das Interview von Medienredaktor Salvador Atasoy auf Soundcloud
(30. Oktober 2020)

– Wer beim neuen Projekt mitwirken will: Meine E-Mail-Adresse lautet: mark.balsiger@border-crossing.ch