Das Wasser schimmert in verschiedenen Blautönen, Wellen mit Schaumkrönchen rollen landwärts, die Palmen wiegen sich im sanften Wind. Röhrende Wasserjets, penetrante Souvenirverkäufer, testosterongetriebene „Spring Break“-Jungs und lästige Sandfliegen gibt es hier nicht. Nur etwas: Ruhe – meditative Ruhe. Willkommen am Traumstrand, irgendwo auf der Insel Palawan.
Keine 20 Touristen haben sich auf verschlungenen Pfaden bis zu dieser verwunschenen Ecke durchgeschlagen. Die Infrastruktur ist simpel: Sie besteht aus einem Beizli mit drei Tischchen, ein paar wackeligen Stühlen und einem halben Dutzend riesiger Kissen, in die man sich fläzen darf.
Ich löffle das einzige Gericht, das es gibt: eine Fischsuppe, dick, mit kleinen Gemüsestücken und vielen Kräutern versetzt. Bei jedem Bissen platzt ein Feuerwerk an Aromen auf der Zunge. Dazu trinke ich eiskaltes San Miguel Pilsen. Die Light-Version sei etwas für Memmen, erklärte mir das Oberhaupt der Familie, die hier wirtet. Also entschied ich mich für das echte Bier. „Do you need a glas?“ Ich schüttle den Kopf: „Real men drink beer from the bottle.“ Er grinst und unsere Hände klatschen zusammen – High Five.
Später lasse ich mich im Schatten nieder, sehr zufrieden mit meinem Leben, blinzle in die Sonne und beginne zu lesen. Doch plötzlich kommt Bewegung in die schläfrige Schar Gäste, die es sich hier gut gehen lässt. Vier junge Blondinen sind eingetroffen, schlank, braun gebrannt, durchtrainiert und voller Energie. Nein, es sind keine Rettungsschwimmerinnen aus Kalifornien und rote Einteiler tragen sie auch nicht. Wie sich herausstellt, kommen die Girls aus Finnland und, boy, wie sie surfen können! Unermüdlich zeigen sie ihre Kunststücke, was mein Ritual durcheinanderbringt: Lesen, dösen, lesen, dösen wird ergänzt. Subito.
Im Verlaufe des Nachmittags taucht ein Mann mit rot-blonden Haaren auf, Europäer oder Nordamerikaner, wohl zwischen 25 und 30 Jahre alt. Er packt umständlich seine Tasche aus, Minuten später beginnt es zu surren, eine Drohne steigt in die Luft. „What the hell!“, murmle ich. Der Rotblonde steuert den weissen Flugkörper dem Strand und lässt ihn über der kleinen Beiz und den Surferinnen kreisen. Stets ist das feine, aber unangenehme Surren zu hören. Auch andere Touristinnen und Touristen fühlen sich gestört, wir werfen uns vielsagende Blicke zu.
Neben mir liegt eine unreife Kokosnuss. Ich wiege sie in der Hand, sie hat eine gute Grösse, das Gewicht wäre ideal. Plötzlich blitzt ein Gedanke auf, der mich erschreckt: Mord. Der Vollzug wäre simpel: Ich pirsche mich von hinten an den Rotblonden heran und erschlage ihn mit der Kokosnuss – zack! Oder ich warte, bis die Drohne in Wurfdistanz ist – und dann: bumm! Man muss wissen: Präzisionswürfe waren lange vor der Rekrutenschule eine Befähigung von mir, ich treffe fast immer.
Zum Glück beginnt sich eine weitere Option zu entwickeln, und sie gewinnt die Oberhand. Ich rapple mich hoch, was erst beim dritten Versuch gelingt, atme einmal tief durch, stapfe durch den Sand zum Rotblonden und formuliere eine Ich-Botschaft, hoch anständig und in etwas gestelztem British English. Er blickt mich einen Augenblick wortlos an. Dann nickt er. Kurz darauf landet seine Drohne sanft im Sand, ich hole in der Beiz zwei San Miguel – Pilsen, what else.
Nachtrag vom 4. Januar:
Hinter den Kulissen hat mir eine Leserin geschrieben. Eine grüne Kokosnuss reiche nicht aus, um jemanden “zack” totzuschlagen, sie sei zu weich. Damit hat sie vermutlich recht, mir geht die Erfahrung in diesem Bereich noch ab. Was ich aber sicher weiss: Um eine Drohne vom Himmel zu holen hätte diese Nuss alleweil gereicht. Das nächste Mal werde ich den Beweis antreten.
Nachtrag vom 30. März 2017:
In der Schweiz besitzen inzwischen etwa 100’000 Personen eine Drohne. Was sie beim Fliegen beachten sollten und welche Konsequenzen rechtlich drohen, beleuchtet .
@Mark Balsiger
Ich kann Ihre Mordgedanken gut verstehen, obschon das an einem Traumstrand sehr bedauerlich ist. Immerhin konnten Sie die Situation unblutig lösen und allenfalls entwickelte sich beim Bier ja ein interessantes Gespräch?
Moderne Techniken sind immer Fluch und Segen zu gleich. Ich hatte kürzlich ebenfalls schwarze Gedanken, als ein Kind erstmalig zur Schulzahnkontrolle bei mir auf dem Stuhl war. Es wurde von seinem Vater begleitet. Da die Kinder immer etwas nervös sind bei der ersten Untersuchung, habe ich dem Kind alles zuerst erklärt: den kleinen Mundspiegel in die Hand gegeben und den Luftbläser auf seiner Hand demonstriert. Plötzlich merke ich, dass der Vater mich und das Kind mit dem Smartphone filmte.
Nun ja, mein Ego war zum Glück so gross, dass ich das Gefühl hatte, dass der Kurzfilm höchstens als positive Gratis-Werbung für meine Arbeit wirken würde. Am Liebsten hätte ich aber den Vater gebeten, sich auf sein Kind zu konzentrieren und ihm zur Seite zu stehen, anstatt es durch die Linse des Smartphones zu betrachten…Ein Bier konnte ich in diesen Situationen leider nicht anbieten!
@Brigitte Zimmerli
Ungefragt zu filmen beginnen, ist erstens eine Verletzung der Privatsphäre und zweitens schlicht unhöflich. Die Manie, alles und alle mit dem Sklavengrätli aufzunehmen, kann ich nicht nachvollziehen.
Was hätte ich an Ihrer Stelle gesagt?
“Die Behandlung, guter Mann, kostet mit Filmen 25 Prozent mehr. Filmen, ohne vorher gefragt zu haben, wird mit einem Zuschlag von 50 Prozent fakturiert.” Dazu ein zuckersüsses Lächeln.
Lassen Sie es mich wissen, wenn Sie meinen Tipp erstmals umgesetzt haben.
Und was war mit den Finninnen? Genau wie damals bei der Geschichte über die schöne Schwedin! Wir malen uns da etwas aus, aber Du erzählst uns von Drohnen!
Die Realität ist hart, lieber Peter, und ich will sie nicht zurückhalten: Die Surferinnen haben mich nicht einmal “mit em Füdle” angeschaut, wie die Berner sagen würden. Obwohl ich mich neben ihnen in “Baywatch”-Manier und mit eingezogenem Bauch in die Wellen geworfen habe.