Nederlands für Einsteiger

Ein englischer Schriftsteller, sein Name ist mir selbstverständlich entfallen, definierte einmal, wie die niederländische Sprache entsteht: “Man setzt sich einfach auf eine mechanische Schreibmaschine – mit Anlauf.” Eine hübsche Veräppelung.

Ich mag diese Sprache. Bei jedem Aufenthalt in Holland ergänze ich meine Liste mit logischen und kurligen Worten. Dieses Mal habe ich das teilweise mit Fotos dokumentiert.

Wegen meiner Velotour #ToNorthCape2016 ist es naheliegend, dass der Fokus zunächst einmal beim Drahtesel liegt. Also:

– Velo = fiets
– Töffli = bromfiets

So weit, so logisch. Werden wir kreativ:
– E-Bike = e-nix-brom-fiets

Diesen Vorschlag habe ich inzwischen der Akademie für niederländische Sprache und Dichtung eingereicht.

Nochmals das Thema Fahrräder:

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Das verstehen wir Schweizerinnen und Schweizer mit links.

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Wenn fietsen also Fahrräder sind, müssen fietsers entsprechend Radfahrer sein. Das Wort oversteken tönt in unserer Mundart verblüffend ähnlich: überestäche.

In einem neuen Quartier in Nijmegen fand ich dieses Schild, womit wir auch das Wort Strasse verinnerlicht hätten. Hanna Arendt können wir ohnehin schon lange rückwärts deklinieren.

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Die Bakkerij ist die Bäckerei, entsprechend ist die Pottenbakkerij die… Töpferei – logisch.

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Zunächst komplett überfordert war ich bei dieser Werbung:

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Dubbel heisst doppelt. Also geht es um “doppelt so günstig”, was auch Holländerinnen als doofes Wortspiel bezeichnen. Werber – nachsitzen!

Schliesslich sind wir wieder bei den Velos angelangt. Letztes Wochenende stand ich ausserhalb von Utrecht an einer Kreuzung und erblickte dieses Schild – eine Rarität. Ich war verwirrt.

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Tegelijk groen verstand ich so: Täglich einmal grün. Das hätte dauern können. Also fuhr ich gleich los. Bei Rot.

Tegelijk heisst, wie ich jetzt dank Twitter-Freunden weiss, gleichzeitig bzw. zusammen. Alles klar, die Niederlande habe ich inzwischen doch wieder verlassen. Alleine.

 

Manchmal liegt die Karibik gleich um die Ecke

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Die Oberschenkel brennen, der Hintern schmerzt, das Trikot aus Polyester klebt schweissnass am Leib wie eine zweite Haut, die Schuhe sind ein Feuchtgebiet. Den ganzen Tag hat es geschüttet wie aus Kübeln, ich fröstle. „Schönwetter-Radler haben etwas begriffen, du offensichtlich noch nicht!“, schelte ich mich selbst.

Ich bin in Saarbrücken angelangt und pausiere unter einer Brücke, rechts rauscht die hellbraune Saar, ihr Pegelstand ist hoch. Unvermittelt erblicke ich ein kleines Schild, die ursprünglich einmal weisse Schrift auf rotem Grund wird von Efeu umrankt. „Erlebnisbad Calypso“ entziffere ich.

„Bad“ klingt immer gut, zumal mich Wasser seit jeher magisch anzieht. Und dann, ja… Calypso. Calypso ist ein Musikstil, der in der Karibik entstand, aber nie so populär wurde wie Reggae oder Son. Mein Kopfkino geht an.

In Gedanken bin ich – schwups – an den Stränden und Open-air-Bars von Roatán. Es ist herrlich warm, ich erinnere mich an die durchgetanzten Nächte mit Liolyn Marilyn, einer dunkelhäutigen Insulanerin mit perlweissen Zähnen, 1 Meter 80 gross, immer guter Laune, und ihre Hüften kreisten und kreisten und kreisten.

Meine Neugierde obsiegt. Ich schiebe das Bike durch einen feucht-dunklen Tunnel, oben donnert der Schwerverkehr über die sechsspurige Autobahn. Zwei Minuten später stehe ich vor dem „Calypso“, eine riesige Anlage mit viel Glas und unzähligen Parkplätzen, Familien sind im Anmarsch. In grossen Lettern wird ein „Bade-, Sauna- und Wellnessparadies“ angepriesen.

Mit Sack und Pack stelle ich mich vor eine der Kassen, durchnässt, die Sacochen strotzen vor Dreck, vom Velohelm lösen sich einzelne Wassertropfen, fett und schwer. Schliesslich bin ich an der Reihe und bringe vor, was ich mir zurechtgelegt habe:

„Ich komme nicht vom Mars, sondern aus der Schweiz, und für den Geruch, den ich vermutlich verströme, entschuldige ich mich präventiv. Wie sie unschwer erkennen können, reise ich eher atypisch. Ich habe 500 Kilometer mit dem Fahrrad in den Knochen und nach diesem Regentag einfach Lust auf zwei Stunden in der Sauna. Badetücher habe ich keine. Könnten Sie mir welche leihen und mein dreckiges Gepäck an einem sicheren Ort lagern? Es ist keine Bombe drin.“

Der Mann im weissen Poloshirt und Bart mustert mich von oben bis unten und kann sich den Anflug eines Lächelns nicht verkneifen. „Ausnahmsweise ja. Die Badetücher kosten aber extra.“

„Geht klar, vielen Dank! Ich weiss Ihr Entgegenkommen sehr zu schätzen.“

Zehn Minuten später bin ich in der grosszügig angelegten Saunalandschaft. Nach dem ersten Aufheizen – 10 Minuten – und dem schnellen Abkühlen im Eiswasser – 10 Sekunden, okay vielleicht waren es auch bloss siebeneinhalb – fläze ich mich entspannt und zufrieden auf einen Liegestuhl.

„Hallo!“ Von Weitem dringt eine Stimme an mein Ohr. Dann lauter und eindringlicher: „Haaaalllooo!“ Jemand stupst mich an der rechten Schulter. Ich schlage die Augen auf. Vor mir steht eine blonde Frau in den Fünfzigern, sie ist in einen Bademantel gehüllt und trägt ausgelatschte Flipflops. Ich musste eingenickt sein.

„Ich habe drei volle Sauna-Durchgänge gemacht, und Sie rührten sich in der Zwischenzeit nicht von der Stelle. Auf alle Fälle habe ich nichts dergleichen beobachtet. Einen solch tiefen Schlaf möchte ich auch einmal haben“, schnattert sie drauflos.

Ich denke: „Toll, manchmal liegt die Karibik gleich um die Ecke – CO2-neutral.“ Und ich gestehe es gerne: Mein Traum war verzückend.

Die Blondine kann mein Lächeln nicht deuten. Sorgen- und zugleich etwas vorwurfsvoll sagt sie: „Womöglich warten zu Hause Frau und Kinder auf Sie, das Abendbrot auf dem Tisch.“

„Auf mich warten 3500 Kilometer“, kläre ich sie auf. Und nach einer Kunstpause: „Schweden – mit dem Fahrrad.“

Sie schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: „Grosser Gott!“

Jetzt meldet sich meine Schlagfertigkeit zurück: „Mark, morgens nach dem Aufstehen 1 Meter 85 gross, protestantisch erzogen, aber sonst vermutlich ganz normal.“

Damit habe ich den Bogen offensichtlich überspannt. Die Frau dreht sich wortlos um die eigene Achse und zieht ab.

P.S.  Am nächsten Morgen bin ich wieder mit dem Velo der Saar entlang unterwegs. Das erste Frachtschiff, das mir entgegenkommt, heisst: „Calypso“.

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Der Assos-Verkauf, der in die Hosen ging

Wenn Richard erzählt, lohnt es sich zuzuhören. Er erzählt gerne und gut über das Leben, die Liebe, Bücher. Und er hat auch eine Ahnung vom Radfahren, oft macht er selber Touren.

Als ich Richard um Tipps für meine Velotour in den Norden bat, sagte er zuerst nur ein Wort – beschwörend: „Assos“. Nach einer Kunstpause schob er nach: „Assos ist das Mass aller Dinge!“ Für Nicht-Velofahrer: Assos sind Radhosen, laut Richard sehr gut verarbeitet, sie wärmen vorne, dort, wo der bissig-kalte Wind heftig hinwehen kann, sie sitzen hauteng und sind hinter besser gepolstert als alle anderen Marken. Auf die Füdlecrème darf man dennoch nicht verzichten.

Also mache ich mich auf, um diese Wunderhose zu testen – im Wankdorf-Center, im Westside und in drei Geschäften in Berns Zentrum – überall Fehlanzeige. Alle haben ihr Sortiment längst auf den Sommer ausgerichtet und bieten nur noch kurze Radhosen an.

Im sechsten Sportgeschäft klappt es endlich: Es führt Assos lang. Der Verkäufer, ein kleiner drahtiger Mann mit stahlblauen Augen und ohne Brauen, guckt mich gelangweilt-dumpf an. In seinem Gesicht steht, was er nicht sagt: „Schon wieder so einer, der bei uns Kleider probiert und sie dann günstiger online bestellt.“

In mir steigt Ärger auf. Ich schüttle den Kopf und sage laut: „Nein, ich gehöre nicht zu dieser Kategorie. Gute Beratung darf etwas kosten!“ Das Wort g-u-t betone ich leicht. Die Miene des Verkäufers hellt sich nicht auf.

Es ist ein Kraftakt, in diese Assos-Hose zu steigen. Von wegen eng – sie ist extrem eng! Das Material fühlt sich auf der Haut unangenehm an, es zwickt an den Testikel und die Träger drücken. Das Bild, das ich im Spiegel abgebe, ist kläglich. Die dünnen Beine sind noch dünner. Okay, alle Männer in Radhosen sehen lächerlich aus.

Ich werde nicht warm mit diesem schwarzen Stück Textil, lege es wieder hin und wende mich zum Gehen. Ich grüsse beim Ausgang, der Nicht-Verkäufer lässt es bleiben. „Wart nur!“, knurre ich leise als ich draussen bin.

Zu Hause ziehe ich meine Radhosen mit Dreiviertel-Länge an, braue einen Chai, setze mich entspannt vor den Mac und gebe bei Google ein paar Suchbegriffe ein. Schliesslich bestelle ich Beinlinge – online. Die stille Rache fühlt sich gut an.

P.S.
Für Nicht-Sachverständige: Beinlinge sind wie Stockings. Allerdings sind Material und Verarbeitung nicht ganz so edel, wie Figura zeigt:

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