James kann nicht kochen – eine Weihnachtsgeschichte

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Kurz vor 23 Uhr checke ich ein. Das Hotel hat drei Sterne, neunzehn Stockwerke und eine unsympathische Rezeptionistin; es ist seelen- und geruchslos, ein Bunker. Aus dem zweiten Stock dröhnt übersteuerte Karaoke-Musik, die Stimmen treffen die Töne selten, aber egal: Ich bleibe ja nur eine Nacht, am nächsten Morgen geht die Reise weiter. Die Versuchung, mich auf Manila, diesen Moloch einer Stadt einzulassen, war auch während der Ferienvorbereitung nie erwacht.

Im Zimmer angelangt, stelle ich meinen Rucksack in eine Ecke, klatsche mir kaltes Wasser ins Gesicht, ziehe ein frisches T-Shirt an und schon bin ich wieder draussen. Die tropische Wärme empfängt mich. Überall blinken Lampen, Lämpchen und Reklamen, Motorräder, Taxis und Tuk-Tuks rollen vorbei, „diese Stadt schläft nie“, erzählte mir ein Kollege, der einmal hier gelebt hat.

Ich will nicht um die Häuser ziehen, sondern mir bloss noch etwas die Füsse vertreten. Schon nach ein paar Minuten entdecke ich die ersten Obdachlosen: Sie schlafen in den Eingängen der Läden, unter Bäumen, auf den Treppen einer Kirche – überall, wo sie ein wenig Schutz finden. Standard ist eine Unterlage aus Karton, einige haben zusätzlich eine verfilzte Decke zur Verfügung, Dritte wiederum liegen auf dem blossen Boden. Es sind Teenager, Greise und viele elternlose Kinder, die jüngsten dürften noch nicht einmal im schulpflichtigen Alter sein.

Als ich die Hotellobby betrete, löst sich gerade eine Hochzeitsgesellschaft auf, eine Hundertschaft gut gekleideter Leute macht sich auf den Weg nach Hause. „Nehmt doch Gesangsstunden!“, brummle ich vor mich hin und verschwinde in meinem heruntergekühlten Zimmer.

Zwei Tage später.

Die Güggel in der erweiterten Nachbarschaft geben alles, damit ich vor den ersten Sonnenstrahlen aufwache – Concerto Grosso. Ich bin inzwischen auf der Insel Palawan angekommen, eine Flugstunde westlich von Manila, und habe mich in einer gemütlichen Lodge einquartiert. Nach dem Frühstück – phoa, diese Fruchtsäfte! – schnüre ich meine Wanderschuhe und packe einen kleinen Rucksack, was ich für die nächsten Stunden brauche: eine grosse Flasche Wasser, das Sackmesser, den Fotoapparat (die gute alte Canon) und ein Buch, aber bewusst keine Landkarte und auch das mobile Sklavengrätli bleibt zurück. Ich will einfach mal drauflos. Das mache ich seit vielen Jahren immer mal wieder – ein Erfolgsrezept.

Zügigen Schrittes streife ich durch das grüne Dickicht, die Sonne dient als grobe Orientierung. Plötzlich stehe ich auf einer Lichtung, Hühner trippeln geschäftig herum, zwei Hunde liegen faul in der Sonne, im Hintergrund sind ein solides Holzhaus und zwei Bungalows zu erkennen. Vorne, unter einem einfachen runden Bambusdach, das von acht Pfählen getragen wird, nehme ich Bewegungen war. Aus der Nähe entpuppt sich die auf allen Seiten offene Hütte als Freiluftküche. Töpfe sind aufgereiht, Kellen hängen an einer Schnur, auf der Theke stehen mehrere Plastiksäcke mit Gemüse.

Zwei junge Leute schälen Gurken. Als sie mich entdecken, grüssen sie freundlich. „Do you want to try our cookies?“ Schon streckt mir die Frau ein Teller mit ihren Güetzi entgegen. Das Gebäck ist grünlich…, schmeckt vorzüglich, allerdings habe ich keine Ahnung, was ich mir in den Mund schiebe. So sind wir flugs in ein munteres Gespräch über Zutaten im Speziellen und das Leben im Allgemeinen verwickelt. Beide sind Frohnaturen und neugierig, ihr Englisch ist fliessend.

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Ziel des Tages
sei, dass James endlich kochen lerne, erklärt Mimi. Und so kommandiert sie Schritt für Schritt, was er zu tun hat, mal greift sie ein, mal tadelt sie kumpelhaft – die Kochsession wird zur Comedy und wir müssen oft lachen. Schliesslich hat sie doch das Meiste selber erledigt, und vor mir steht eine Mahlzeit, die lecker duftet: Reis, gegrillter Fisch, eine pikante Sauce und ein mit viel Liebe dekorierter Gurkensalat. Wir futtern zu dritt, das Zmittag schmeckt vorzüglich. (Okay, eine richtige Salatsause fehlte. Aber… das hätte ja mein Job sein können, stupid!)

Nun müssen Mimi und James für die Gäste, die die Bungalows gemietet haben, kochen. Ich schultere den Rucksack und frage die beiden, was ich ihnen schulde. „Nothing“, klingt es zurück. Mimis Stimme tönt bestimmt. „You were our guest.“

Ich klaube mein Schweizer Sackmesser hervor und lege es auf den Tresen. „Merry Christmas!“ Sie danken und winken, wie ich mich zum Gehen wende. Nach ein paar Metern drehe ich mich nochmals um: „One day, I’ll be back. Make sure you know how to cook then, James!“

Der junge Mann lacht über das ganze Gesicht und macht das „Daumen-hoch“-Zeichen. „Sure!“

Als es dem “Bund” an den Kragen ging – oder: Was ist uns Journalismus noch wert?

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Heute vor acht Jahren liess Pietro Supino, der Verwaltungsratspräsident der Tamedia, die Belegschaften von „Berner Zeitung“ und „Der Bund“ zusammentrommeln. Er informierte sie über Gewichtiges: Die beiden Tageszeitungen würden entweder fusioniert oder aber der „Bund“ mit vielen Inhalten des „Tages-Anzeigers“ beliefert. Es ging um den Abbau vieler Stellen auf beiden Redaktionen, aber auch in der Produktion und im Verlag, lies: eine Rosskur.

Diese Ankündigung schlug in Bern ein wie eine Bombe. Die Bundesstadt mit nur noch einer Kaufzeitung und womöglich ohne „Bund“ – unmöglich, das konnte und wollte sich niemand vorstellen! Zahllose Bernerinnen und Berner sind mit dem “Bund” aufgewachsen; er ist eine Institution. Der “Bund” gehört zu Bern wie die Aare, das Münster und der Zibelemärit.

Ich hatte schon am Vorabend Wind von Supinos angekündigtem Auftritt gekriegt und ging vom Worst Case aus: Fusion. Im Verlaufe des Montags führte ich Einzelgespräche mit drei Vertrauenspersonen, am Dienstag traf ich ein Mitglied der „Bund“-Redaktion, und am Mittwoch sagte ich schliesslich meine dreiwöchige Reise durch Mexiko, die in den nächsten Tagen begonnen hätte, ab.

Die Leserbriefspalten waren voll, der Unmut gross. „Bund“-Abonnentinnen und -Liebhaber fanden die Pläne des Zürcher Medienkonzerns unter jeder Kanone. Es ist nicht von der Hand zu weisen: Ohne gut gemachte Kaufzeitungen – online inklusive – verliert die Demokratie einen wichtigen Pfeiler. Gute Zeitungen kosten Geld, viel Geld. Aber: Qualität sollte man fördern, nicht opfern, sonst kommt irgendeinmal der Bumerang. Tamedia machte 2008 einen Reingewinn von 106 Millionen Franken, im Frühling 2009 entliess sie einen Viertel der “Tagi”-Belegschaft. 2015 erzielte Tamedia einen Gewinn von 334 Mio., in diesem Jahr kam es bei “24heures” und “Tribune de Genève” zu 20 Entlassungen. Ich verschliesse meine Augen nicht vor den Realitäten, und klar, wenn Werbeeinnahmen einbrechen und Abozahlen zurückgehen, muss ein Verlag reagieren. Die Frage ist, wie.

Doch zurück zur “Bund”-Rettung. Mir stand ein Zeitfenster von drei Wochen zur Verfügung, währenddem ich mich voll auf dieses neue Projekt konzentrieren konnte. Im Hintergrund baute ich das Komitee „Rettet den Bund“ auf. Prominente wie Kuno Lauener, Thomas Hürlimann, Simonetta Sommaruga und Benedikt Weibel traten dem Co-Präsidium bei. Herr Häck legte den Grundstein für eine Website, ich definierte die Strategie für die nächsten Wochen, schliff an Botschaften und las alles über Medienökonomie, was ich auftreiben konnte. Am 11. Dezember 2008, einen Tag nach den Bundesratswahlen, gingen wir an die Öffentlichkeit. Ein paar Stunden später lag der Server vorübergehend flach, er war von den zahllosen Besuchen überfordert, Hunderte von Leuten traten schon am ersten Tag dem Rettungskomitee bei.

Der Widerstand war gebündelt, die Wellen der Entrüstung rollten offline und online, Facebook galt damals noch als hip. Ich erinnere mich lebhaft an jene Phase: Täglich erhielten wir Dutzende von E-Mails, Telefonate und Briefe, bei meiner Agentur, wo die Fäden zusammenliefen, gingen die Leute ein und aus. Nie zuvor hatte ein Projekt von uns so viele Reaktionen – mehrheitlich positive, zum Teil auch kritische – ausgelöst. Das motivierte ungemein. Während wir das Komitee weiter ausbauten und Öffentlichkeit generierten, begann sich im Hintergrund die „Arbeitsgruppe Gutenberg“ – bestehend aus Simonetta Sommaruga, Werner Luginbühl, Alec von Graffenried, Christoph Stalder und mir – mit der Tamedia-Spitze zu treffen.

Sechs Monate und 1200 Stunden Fronarbeit später entschied Tamedia, an der Marke „Bund“ festzuhalten und diese Traditionszeitung weiterhin herauszugeben. Ob die schiere Existenz des Rettungskomitees die Entscheidung des Medienkonzerns beeinflussen konnte, wissen wir nicht. Aber wir haben es versucht – mit Lust und einem langen Atem.


Weshalb erwähne ich das?
Ganz einfach: Um Sie/dich für dieses Thema zu sensibilisieren. (Hach, ein strapaziertes Wort!) Die Medien sind in einem disruptiven Prozess, ihre beinharten Manager haben den Glauben an die gedruckte Zeitung verloren, Publizistik interessiert sie nicht. Es ist möglich, dass Tamedia im Grossraum Bern in absehbarer Zeit einen der beiden Titel einstellen will.

Die Fragen, die wir uns an langen Dezemberabenden stellen sollten:

– Darf die Hauptstadt einer der ältesten und stabilsten Demokratien mit nur einer Tageszeitung – ob auch gedruckt oder nur noch online, ist nicht relevant – bedient werden?

– Stehen wir bereit mit einer Alternative, wenn Tamedia den Stecker zieht? („Journal B“ kam nie zum Fliegen, die „Tageswoche“ in Basel wird von einer Stiftung alimentiert, Constantin Seibt & Co. lancieren hoffentlich bald ihr eigenes „Project R“.)

– Was ist uns Journalismus in Zeiten von Google, wegbrechenden Werbeeinnahmen, Gratis- und Fake-News überhaupt noch wert?

Die Diskussion ist eröffnet. Wer sich hier nicht exponieren mag, erreicht mich auch per DN, Mail und Telefon.

P.S.
Zwei der Kampagnensujets, die wir im Winter 2008/2009 verwendeten, konnte ich aus dem Archiv „usegrüble“.
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