In den letzten 15 Jahren wurde die Schweizer Medienlandschaft komplett umgepflügt. Am Werk war ein Deutscher, unsentimental und durchaus charmant: Martin Kall. Der damalige CEO der Tamedia durchleuchtete mit seinen „Kall Boys“ forsch das Portfolio, stiess unrentable Titel ab, kaufte andere hinzu, bombte Konkurrenten aus dem Geschäft (wie zum Beispiel die Gratiszeitung „.ch“ von Sacha Wigdorovits) und verordnete rigorose Sparübungen. Zu einem überrissenen Preis sicherte er sich mit der Übernahme der Espace Media Group die Lufthoheit über Bern (2007) und erstand die Edipresse Groupe in der französischen Schweiz (2011). Die Knacknuss bei Tamedia aber bleibt: Der Spagat zwischen bezahltem Inhalt (gedruckte Zeitungen, News-Portal Newsnet) und Gratiscontent (20min.ch) macht strategisch keinen Sinn.
Nach dem Umpflügen hat nun das Bestellen der Felder begonnen. Gestern Mittag verkündete Tamedia in einem schönfärberischen Communiqué, was in Zukunft angebaut wird: Hirse – überall. Von Winterthur bis Interlaken bzw. vom „Landboten“ bis zum „Berner Oberländer“ steht ab nächstem Jahr in allen Tageszeitungen, die Tamedia kontrolliert, dasselbe. Die Ressorts Ausland, Inland, Wirtschaft, Gesellschaft/Kultur und Sport werden zusammengelegt. Es gibt Hirsebrei in Schälchen, die noch unterschiedliche Farben haben. Gerade auf dem Platz Bern mit „Bund“ und „Berner Zeitung“ ist das nicht gesund für unsere Demokratie.
Die Pressevielfalt ist damit Geschichte, der Grossgrundbesitzer kontrolliert das Terrain vom Zürcher Weinland bis Genf und hat eine enorme Medienmacht, die Wettbewerbskommission schaut zu.
Doch der Einheitsbrei ist noch das kleinste Problem. Gravierender ist, was Markus Somm, Vizepräsident des Verbands Schweizer Medien und Mitbesitzer der „Basler Zeitung“, auf einem Podium sagte: „Bis in 10, spätestens bis in 20 Jahren haben sich alle Verleger aus dem Journalismus verabschiedet, weil es kein Geschäft mehr ist.“ Die Medienmanager glauben nicht mehr an journalistische Qualität. Sie foutieren sich um Publizistik und bereiten stattdessen den entscheidenden Kampf in der nächsten Geländekammer vor. Nachdem sie in den Neunzigerjahren die Entwicklungen mit diesem Internet verschlafen hatten und danach auf Gratiskultur setzten, geht es jetzt um die Frage, wer im kommerziellen Digitalgeschäft überlebt. Artikel aus der Newsfabrik haben nur eine Aufgabe: Sie sollen die Surfer anlocken.
Das News-Portal Newsnet, das von Tages-Anzeiger, Berner Zeitung, Bund, 24heures, Tribune de Genève usw. gemeinsam bespielt wird, zeigt, wie das funktioniert. Was die jungen Journalistinnen und Journalisten dort abliefern – abliefern müssen! –, sind schnell geschriebene Storys. Morgens um 9 Uhr fassen sie in der Newsfabrik ihr Thema, um 11.45 Uhr muss ihr Text bereits online sein. Dann, wenn Hunderttausende von uns hungrig zu den Take-aways strömen. Mit der linken Hand mampfen wir das Sandwich, in der rechten Hand bedienen wir unser Sklavengrätli und konsumieren die schnell hingeworfenen Storys – Stilblüten, Tipp- und Interpunktionsfehler inklusive. Fastfood.
Relevant sind diese Artikel nicht. Tamedia ist das egal, es geht nur um etwas: Traffic. Er bringt Geld ein, wenn wir beim Surfen andere Angebote und Werbung anklicken.
Was die Medienmanager verdrängt haben: Qualität ist weiterhin gefragt. Wird sie geliefert, gedruckt oder online, sind viele Leute bereit, dafür zu bezahlen. Ein gutes Beispiel ist die „Die Zeit“ aus Hamburg. Sie hat heute eine grössere Auflage als vor 20 Jahren. In unserem Land konnte dieser Qualitätstitel seine Abonnentenzahl seit 2008 massiv erhöhen – auch dank drei Schweiz-Seiten pro Ausgabe. Qualitätsjournalismus ist gefragt – und er rentiert. (Wie er objektiv gemessen werden soll, ist allerdings umstritten.)
Tamedia hat in den letzten zehn Jahren über 500 Millionen Franken an Aktionäre und Kaderleute ausgeschüttet. Wäre nur ein kleiner Teil davon in Qualitätsjournalismus geflossen, stünden die einzelnen Titel heute besser da.
>>> In den letzten 24 Stunden habe ich mit einigen betroffenen Journalistinnen und Journalisten gesprochen. Sie schlingern zwischen Hoffen und Bangen. Ich finde, dass man auf dem Platz Bern das Schicksal in die eigenen Hände nehmen sollte, die Zeit reif ist für ein neues Medium. Wie wärs mit einer „Republik“ ohne Linksdrall? Wer Knowhow, Kapital, Zeit und Mut hat, soll sich doch bei mir melden. Ich kann das tun, was ich auch beruflich regelmässig tue: Akteure zusammenführen.
„Man sollte nichts unversucht lassen.”
Wolfgang Hildesheimer
Dieser Text wurde zuerst auf Persönlich, dem Online-Portal der Kommunikationswirtschaft, veröffentlicht.
Andere Meinungen zum Thema:
– Mehr Feuerkraft, weniger Vielfalt (NZZ, Rainer Stadler)
– Die Scheinvielfalt verwalten (Medienwoche, Nick Lüthi)
– “Einige Leser wissen journalistische Vielfalt nicht zu schätzen”
(Watson, Interview mit Publistikprofessor Otfried Jarren)
Tamedias unmöglicher Spagat (Weltwoche, Karl Lüönd, 31. August, PDF)