Beim Zähneputzen am Abend wird mir vor dem Spiegel klar: Meine Haare sind zu lang, zu spröde, zu… ach! Ist der Velohelm erst einmal weg, streben sie in alle Himmelsrichtungen, ich könnte als Sohn von Niklaus Meienberg durchgehen. Also ab zum Coiffeur.
Am nächsten Morgen schlendere ich durch Kalmar, einer hübschen Kleinstadt im Süden Schwedens, die in dieser Jahreszeit viele Touristen anlockt, das Leben in den Strassen erwacht langsam, die Sonne scheint wie es sich gehört. Im Gegensatz zu den Coiffeursalons in der Schweiz sind diejenigen hier montags geöffnet, auf jeder Eingangstüre steht “Drop in”.
Im vierten Geschäft darf ich nicht nur eintreten, sondern mich auch gleich bedienen lassen. Eine vielleicht 35-jährige Coiffeuse mit blondiertem Haar und guter Laune dirigiert mich schwungvoll auf den Sessel. Wie immer bringe ich zuerst meine Anstandsfrage: „Talar du engelska?“ Ja, sie spreche Englisch, antwortet sie, aber nicht gerne und auch nicht gut.
Ich erkläre ihr, dass ich die schwedische Sprache sehr möge, aber nicht mehr als 50 Wörter beherrschen würde. Dabei lächle ich sie an und denke schaudernd: „Womöglich verpasst sie mir eine dieser potthässlichen Frisuren, wie sie bei den Fussballstars und ihren zahllosen Nachahmern Mode sind.“
Ich deute auf ihr Namensschild, das diskret in einer Ecke ihres Arbeitsplatzes steht. Nathalie sei doch ein französischer Name. Ihre Augen blitzen: „Je suis Française!“
Magnifique! “Je suis Suisse! Voyez, cet année j’ai passé trois mois en France pour améliorer votre langue.” (Eigentlich wollte ich entrosten sagen, aber das Wort fiel mir nicht ein.) Nathalie ist offensichtlich hoch erfreut, dass wir in ihrer Muttersprache parlieren können. Für mich ist es ein willkommenes Training und es geht ganz flott, obwohl ich seit meinem Tourstart im Elsass nicht mehr Französisch gesprochen habe.
Sie schwingt mir den schwarzen Frisiermantel über die Schultern und das Prozedere beginnt. Da geht die Eingangstüre auf und das warme Schwedisch einer weiblichen Stimme dringt an mein Ohr. Im Spiegel erhasche ich einen Blick der neuen Kundin und bin wie vom Donner gerührt: Sie ist etwa 1 Meter 80 gross, schlank, sportlich und braun gebrannt. Sie hat grüne Augen und lange dunkelbraune Haare, die ihr bis zur Taille reichen. Sie trägt eine schlichte weisse Bluse, aber kein Make up. Sie ist so natürlich. Und sooo schön.
Ja, ich habe lange geguckt, und ja, ich bin hingerissen. Zu meiner Verzückung wird die schöne Schwedin gleich neben mir platziert. Ich schiele verstohlen rüber und warte auf eine gute Gelegenheit, mit ihr ins Gespräch zu kommen.
Plötzlich taucht Amor auf. Der kleine Kerl setzt sich auf die Oberkante des wuchtigen Spiegels, lässt die Beinchen baumeln und zwinkert mir kumpelhaft zu: „Genau dein Typ, gelt?“ „Hau ab!“, fahre ich ihn an. „Ich bin mit em Velo da, keine Zeit für Girls.“
Nebenan geht es jetzt darum, wie viele Zentimeter abgeschnitten werden dürfen – ein heikler Punkt. Das ist meine Chance, schliesslich bin ich eine Kapazität, wenn es um die Haarlängen schöner Frauen geht. Ich klinke mich in das Gespräch ein, elegant, wie ich finde, und gebe in gepflegtem Englisch meine Meinung ab. Die schöne Schwedin dreht ihren Frisiersessel in meine Richtung und schenkt mir ein bezauberndes Lächeln.
Strike! Mein Herz klopft. Im Augenwinkel sehe ich, wie Amor mit nervösen Fingern einen Pfeil aus dem Köcher zieht.
Das Eis ist gebrochen, wir small-talken: Am Platz rechts von mir auf Schwedisch, bei uns auf Französisch, übers Kreuz auf Englisch, die beiden „Hair Artists“ reden zwischenhindurch Schwedisch miteinander. Irgendeinmal sagt die Coiffeuse, die an den Haaren der Holden wirkt: „Ihr beide kommt übrigens aus demselben Land.“ Verblüfft gucken wir einander an. „Wohär chunnscht?“, frage ich die schöne Schwedin.
„Vo Bärn.“
Ich mache grosse Augen und mein Herz setzt einen Takt aus. Mindestens. Amor ist aufgesprungen und tanzt Lambada auf dem Spiegelrand.
“Ich wohne auch in Bern. Im Breitsch“, erzähle ich der schönen Bernerin. Wir reden weiter und schliesslich frage ich sie, was sie denn in Kalmar mache. „Weißt du, mein Partner lebt hier.“ „Aha. Cool“, sage ich und denke: „Merde!“ Bei Konsalik nehmen solche Begegnungen immer einen ganz anderen Verlauf.
P.S.
Die frisierende Französin hat übrigens einen guten Job gemacht, ich bin mit meinem Haarschnitt zufrieden. Und das Velo stand nach einer Stunde auch noch vor dem Salon.