Wie ein miserabler Tag in eine rauschende sizilianische Party mündete

Es gibt sie, diese Tage, wo du schon in den Morgenstunden weißt: Egal, was passiert, es geht heute alles in die Hosen. ALLES, tutto, du bist chancenlos. Mein aktuelles Bespiel aus Sizilien, das wir zurzeit mit dem Fahrrad erstrampeln.


Ich habe schlecht geschlafen und noch schlechtere Laune. Es braucht eine geschlagene Stunde und viele Höhenmeter, bis wir auf den zahllosen verwinkelten Gassen in der Mafia-Stadt Corleone den richtigen Weg Richtung Süden finden. Und natürlich habe ich keine guten Beine heute, es will sich partout kein Rhythmus einstellen. Ich beisse auf die Zähne, blicke stur geradeaus und pedale schweigsam durch den Tag.

Etappenziel ist Burgio, ein Bed & Breakfast ausserhalb der Stadt, das auf einem Hügel mit wunderbarer Aussicht liegt. Der Aufstieg dorthin ist giftig, ich fluche leise vor mir hin und komme kaum mehr vom Fleck. Oben wird uns beschieden: kein Platz mehr, scusi. Aber wir sollen es doch bei einem Bekannten in der Stadt versuchen, der nehme manchmal auch Gäste auf. Zwanzig Minuten später schaut uns dieser einen Augenblick lang an und schüttelt dann bestimmt den Kopf. Durchgefallen, porca miseria!


Zurück auf die Strasse.
Zur nächsten Kleinstadt. 21 Kilometer entfernt. Ventiuno kilometri! Gegenwind, Stuzzi Cadenti! Auf einem Online-Portal haben wir zur Sicherheit irgendetwas in Ribera gebucht. Abgekämpft erreichen wir dieses «Irgendetwas»: ein hässlicher Zweckbau am Stadtrand, direkt an einer stark befahrenen Strasse gelegen, der Putz ist weg, ein Namensschild fehlt. Ich fluche lautstark, checke nochmals die Adresse im Netz – alles korrekt! –, Ben drückt alle Klingeln gleichzeitig, was zu einem Sprachengewirr im Gegensprecher, aber keiner Lösung führt.

Da stehen wir im Dunkeln in unseren lächerlichen Velo-Klamotten, komplett verschwitzt, frierend, hungrig und ohne Dach über dem Kopf. Ich sehe uns schon zusammengekauert unter einer Brücke übernachten.

Im Nebengebäude befindet sich ein kleiner Supermercato. Ich stolpere hinein und nehme die junge Verkäuferin in Beschlag. Sie versteht mein mit spanischen Vokabeln durchsetztes Schwachstrom-Italienisch, zieht eine Augenbraue hoch, lächelt und verschwindet im Backoffice. Fünf Minuten später fahren ein paar Männer ein, sie gestikulieren und reden und reden und reden. Ich lärme zurück, verwerfe die Hände und finde Sizilien den letzten Flecken auf diesem Planeten. Ob das, was ich sage, Sinn macht, ist mir egal. Sono molto stanco. Wütend bin ich auch. Der A… tut weh.

Irgendeinmal wird ein Schlüsselbund gezückt und wir können rein. Die Bude ist zu unserer Verblüffung neu, sauber und aufgeräumt, aber charmefrei. Egal, die Dusche funktioniert, c’è agua freddo, und es hat zwei Betten, die das Probesitzen überstehen. Jetzt brauchen wir nur noch Kalorien. Viele Kalorien.

Wir schlendern die Strasse abwärts und entdecken schon bald ein leuchtendes Schild in der Ferne. Es ist, was wir uns erhofft haben: eine Trattoria. Laute Musik schallt nach draussen, überall stehen Leute herum, ein Glas in der Hand, die Klamotten sind teuer. Wir ernten prüfende Blicke, kämpfen uns aber trotzdem an der Menschenmenge vorbei an die Bar. Der Kellner macht ein zerknirschtes Gesicht, gefolgt von einer unzweideutigen Handbewegung: «Geschlossene Gesellschaft!»

Die gute Erziehung lässt uns keine Wahl

Wir drehen uns enttäuscht um und wollen davonschleichen. Ein Mann, etwa 60 Jahre alt, leicht gerötetes Gesicht, Adlernase, imposanter Bauch, versperrt uns den Weg. Seine Gesten sind raumgreifend, die Stimme rauh. Er bedeutet uns zu bleiben, es habe genug von allem und überhaupt werde heute nur gefeiert. Seine Frau sekundiert ihn resolut. Einen Augenblick später haben wir einen Drink in der Hand – «Salute!»

In einer Ecke entdecken wir einen Berg kunstvoll verpackter Geschenke. Auf einer Schiefertafel steht: «Alexandra e Alberto». Die beiden haben sich heute verlobt.

Am Buffet stillen wir unseren Hunger – delicioso! –, aus den Boxen wummern Bumm-Bumm-Sounds, Bachata und andere Verbrechen auf Tonträgern. Trotzdem wird die Stimmung immer ausgelassener, die Leute tanzen, aber wir stehen etwas verloren in einer Ecke. Abschleichen oder abtanzen – das ist die Frage? Wir entscheiden uns für Zweiteres; es ist die gute Erziehung, die uns letztlich keine Wahl lässt.

Die müden Beine wollen zuerst nicht recht, ich fühle mich wie ein Spastiker, aber schliesslich kommen auch wir in Fahrt und drücken ab.

Der Kontrast ist frappant:

Hier die offiziellen Gäste in ihren massgeschneiderten Kleidern, le donne betörend schön, aufgebrezelt und mit gefährlich hohen Absätzen – weshalb verliert eigentlich keine auch nur für eine halbe Sekunde das Gleichgewicht auf diesen High Heels?

Dort die beiden hereingeplatzten Svizzeri in verbeulten Jeans, alten Latschen und einfachen T-Shirts. Ben, 2 Meter 02, und ich, 1 Meter 86, wir beide überragen alle um einen bis eineinhalb Köpfe. Das sieht lustig aus, wie zwei Bojen, die im Hafen auf den Wellen schaukeln. Aber nach den Smash-Hits von «Village People» gehören wir definitiv zur Festgemeinde.