Manchmal liegt die Karibik gleich um die Ecke

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Die Oberschenkel brennen, der Hintern schmerzt, das Trikot aus Polyester klebt schweissnass am Leib wie eine zweite Haut, die Schuhe sind ein Feuchtgebiet. Den ganzen Tag hat es geschüttet wie aus Kübeln, ich fröstle. „Schönwetter-Radler haben etwas begriffen, du offensichtlich noch nicht!“, schelte ich mich selbst.

Ich bin in Saarbrücken angelangt und pausiere unter einer Brücke, rechts rauscht die hellbraune Saar, ihr Pegelstand ist hoch. Unvermittelt erblicke ich ein kleines Schild, die ursprünglich einmal weisse Schrift auf rotem Grund wird von Efeu umrankt. „Erlebnisbad Calypso“ entziffere ich.

„Bad“ klingt immer gut, zumal mich Wasser seit jeher magisch anzieht. Und dann, ja… Calypso. Calypso ist ein Musikstil, der in der Karibik entstand, aber nie so populär wurde wie Reggae oder Son. Mein Kopfkino geht an.

In Gedanken bin ich – schwups – an den Stränden und Open-air-Bars von Roatán. Es ist herrlich warm, ich erinnere mich an die durchgetanzten Nächte mit Liolyn Marilyn, einer dunkelhäutigen Insulanerin mit perlweissen Zähnen, 1 Meter 80 gross, immer guter Laune, und ihre Hüften kreisten und kreisten und kreisten.

Meine Neugierde obsiegt. Ich schiebe das Bike durch einen feucht-dunklen Tunnel, oben donnert der Schwerverkehr über die sechsspurige Autobahn. Zwei Minuten später stehe ich vor dem „Calypso“, eine riesige Anlage mit viel Glas und unzähligen Parkplätzen, Familien sind im Anmarsch. In grossen Lettern wird ein „Bade-, Sauna- und Wellnessparadies“ angepriesen.

Mit Sack und Pack stelle ich mich vor eine der Kassen, durchnässt, die Sacochen strotzen vor Dreck, vom Velohelm lösen sich einzelne Wassertropfen, fett und schwer. Schliesslich bin ich an der Reihe und bringe vor, was ich mir zurechtgelegt habe:

„Ich komme nicht vom Mars, sondern aus der Schweiz, und für den Geruch, den ich vermutlich verströme, entschuldige ich mich präventiv. Wie sie unschwer erkennen können, reise ich eher atypisch. Ich habe 500 Kilometer mit dem Fahrrad in den Knochen und nach diesem Regentag einfach Lust auf zwei Stunden in der Sauna. Badetücher habe ich keine. Könnten Sie mir welche leihen und mein dreckiges Gepäck an einem sicheren Ort lagern? Es ist keine Bombe drin.“

Der Mann im weissen Poloshirt und Bart mustert mich von oben bis unten und kann sich den Anflug eines Lächelns nicht verkneifen. „Ausnahmsweise ja. Die Badetücher kosten aber extra.“

„Geht klar, vielen Dank! Ich weiss Ihr Entgegenkommen sehr zu schätzen.“

Zehn Minuten später bin ich in der grosszügig angelegten Saunalandschaft. Nach dem ersten Aufheizen – 10 Minuten – und dem schnellen Abkühlen im Eiswasser – 10 Sekunden, okay vielleicht waren es auch bloss siebeneinhalb – fläze ich mich entspannt und zufrieden auf einen Liegestuhl.

„Hallo!“ Von Weitem dringt eine Stimme an mein Ohr. Dann lauter und eindringlicher: „Haaaalllooo!“ Jemand stupst mich an der rechten Schulter. Ich schlage die Augen auf. Vor mir steht eine blonde Frau in den Fünfzigern, sie ist in einen Bademantel gehüllt und trägt ausgelatschte Flipflops. Ich musste eingenickt sein.

„Ich habe drei volle Sauna-Durchgänge gemacht, und Sie rührten sich in der Zwischenzeit nicht von der Stelle. Auf alle Fälle habe ich nichts dergleichen beobachtet. Einen solch tiefen Schlaf möchte ich auch einmal haben“, schnattert sie drauflos.

Ich denke: „Toll, manchmal liegt die Karibik gleich um die Ecke – CO2-neutral.“ Und ich gestehe es gerne: Mein Traum war verzückend.

Die Blondine kann mein Lächeln nicht deuten. Sorgen- und zugleich etwas vorwurfsvoll sagt sie: „Womöglich warten zu Hause Frau und Kinder auf Sie, das Abendbrot auf dem Tisch.“

„Auf mich warten 3500 Kilometer“, kläre ich sie auf. Und nach einer Kunstpause: „Schweden – mit dem Fahrrad.“

Sie schlägt die Hände über dem Kopf zusammen: „Grosser Gott!“

Jetzt meldet sich meine Schlagfertigkeit zurück: „Mark, morgens nach dem Aufstehen 1 Meter 85 gross, protestantisch erzogen, aber sonst vermutlich ganz normal.“

Damit habe ich den Bogen offensichtlich überspannt. Die Frau dreht sich wortlos um die eigene Achse und zieht ab.

P.S.  Am nächsten Morgen bin ich wieder mit dem Velo der Saar entlang unterwegs. Das erste Frachtschiff, das mir entgegenkommt, heisst: „Calypso“.

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