Plötzlich zeigt der Bundesrat Führungsstärke

Die Corona-Welle überrollt die Schweiz, viele Menschen reagieren verunsichert. Der Bundesrat steht vor seiner grössten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg: Er muss das Land durch diese schwierige Zeit navigieren und die Leute mitnehmen. Die Kommunikation ist ihm bislang überzeugend gelungen. In der Krise zeigt die Regierung plötzlich Führungsstärke.

Die erste Welle der BAG-Informationskampagne ist kein Wurf, aber sie knallt – fürs erste in Gelb. An der Südgrenze werden Ende Februar an Bahnhöfen und Tankstellen 200’000 Flyer verteilt mit den Piktogrammen «Händewaschen», «Abstand halten» und «zu Hause bleiben». In derselben Phase treten Gesundheitsminister Alain Berset und Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) ein erstes Mal vor die Medien. Sie verkünden die «besondere Lage» gemäss Epidemiengesetz. Veranstaltungen mit mehr als 1000 Personen sind ab sofort verboten. Ein Murren geht durchs Land, aber das Verständnis für die Einschränkung überwiegt.

Bis zum 20. März folgen vier weitere Medienkonferenzen, der Bundesrat ist jeweils mit bis zu vier Mitgliedern vertreten. Jedes Mal werden weitergehende Massnahmen verfügt. Als er am 16. März die «ausserordentliche Lage» bekanntgibt, spürt man am Ende vieler Sätze ein Ausrufezeichen. Es ist ein eindringlicher Appell an die Nation, und er wird verstanden. In normalen Zeiten hätte man die Landesväter und -mütter als schulmeisterlich kritisiert. In dieser Situation lauten die Prädikate: klar und führungsstark.

Am nächsten Abend, wenige Sekunden vor dem «Echo der Zeit» von Radio SRF, ertönt unverhofft eine monotone Stimme: «Empfehlung des Bundesrats: Bleiben sie zu Hause! Insbesondere wenn sie alt oder krank sind!» Würden draussen noch die Sirenen heulen, wähnte man sich im Krieg. Dieselbe Information läuft seither vor jedem Nachrichtenbulletin und auch während Spielfilmen am Fernsehen wird sie eingeblendet.

Google, Twitter und Instagram installieren in Absprache mit den Behörden ein Aufklärungstool, das User nach dem Eintippen von Schlüsselwörtern rund um das Coronavirus direkt zu den Informationen des BAG weiterleitet. Vergleichbares geschieht auf Facebook und Youtube, dort ist allerdings die Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Lead. In der Informationskampagne des BAG wechselt die Signalfarbe Anfang März von Gelb auf Rot. Die Werbemittel haben nun sechs Piktogramme und werden im ganzen Land massiert eingesetzt.

Der Bundesrat informiert die Medien stetig und nutzt dabei auch seinen Youtube-Kanal, um die Bevölkerung direkt zu erreichen. Das wirkt vertrauensbildend. Bei seinen Auftritten wirken die Regierungsmitglieder entschlossen, sie kommunizieren klar und überzeugend. Keine Zweifel, die Landesregierung hat das Heft in die Hand genommen, führt top-down und setzt sich durch.

In einem durch und durch föderalistischen Land passt das auch jetzt nicht allen. Wenn es sein muss, werden sogar Kantone zurückgepfiffen, wie jüngst das Tessin und Uri oder die Gemeinde Bagnes (VS). Dass die Websites der Bundesverwaltung einmal während mehreren Stunden «down» waren – vergessen. Dass Bundeskanzler André Simonazzi Twitter nicht geschickter nutzt – kein Thema. Dass das BAG laut einer Recherche der «Republik» mit einem veralteten Meldesystem arbeitet – eine Randnotiz.

Es gibt keine Kluft zwischen der Politik und dem Volk

Bislang hat die Regierung mit viel Fingerspitzengefühl antizipiert, was verhältnismässig ist. Sehr heikel war die Schliessung der Schulen. Diese Entscheidung wurde nicht auf der Basis von Studien getroffen, sondern war nur politisch motiviert. Weil die meisten Nachbarländer ihre Schulen bereits geschlossen hatten, war der Druck zu gross geworden. Ein anderes Beispiel ist der Ruf nach einer Ausgangssperre, der vor allem in der Westschweiz laut wurde. Der Bundesrat blieb bisher standhaft, verbot aber Ansammlungen von mehr als fünf Personen. Insgesamt zeigt der Bundesrat bislang das, was er vorab im Europadossier seit Jahren vermissen lässt: Führungsstärke.

Einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler kritisieren: «Too little, too late!» Ihre Aussagen multiplizieren sich in den sozialen Medien. Aus epidemiologischer Sicht haben sie vielleicht recht. Aber nehmen wir einmal an, die Landesregierung hätte den «Lock Down» bereits Ende Februar verfügt. Weite Teile der Bevölkerung hätten die einschneidenden Massnahmen weder verstanden noch mitgetragen, von den Arbeitgebern ganz zu schweigen.

Autoritäre Staaten setzen ihre Verbote konsequent durch. Die Menschen in der Schweiz hingegen erstritten sich ihre Kultur der Eigenverantwortung und ihre Freiheitsrechte. Eine schnelle und massive Veränderung des individuellen Verhaltens ist nur möglich, wenn die Leute sie akzeptieren. Dieser Prozess wird beschleunigt, wenn der entscheidende Akteur eine hohe Glaubwürdigkeit hat. Hierzu erreicht der Bundesrat bei Umfragen seit Langem gute Werte. Noch wichtiger ist aber ein anderer Faktor: Es gibt keine Kluft zwischen der Politik und dem Volk. Die allermeisten Menschen in unserem Land verstehen sich als Teil des Staates.

Seit sich die Corona-Krise zugespitzt hat, findet in Bern täglich ein «Point de Presse» statt. Dort geben Schlüsselpersonen aus den einzelnen Departementen erschöpfend Auskunft, was wo läuft. Proaktiv zu informieren ist weise, weil so das enorme Interesse der Medien gebündelt werden kann. Zugleich verschaffen sich die Beteiligten wieder etwas Luft für andere Arbeiten.

Einen Riesenjob macht Bundesrat Berset, und man sieht ihm die Nachtübungen an. Über das Wochenende lancierte er auf seinem Instagram-Profil die «So-schützen-wir-uns»-Challenge und forderte Roger Federer, Christa Rigozzi und Stress heraus – drei populäre Stars in den drei grossen Sprachregionen. Sie zückten ihre Smartphones und multiplizierten in eigenen Worten die Botschaft. Die Aktion zog sofort weitere Kreise, längst auch auf Twitter.

Die wichtigste Figur bleibt allerdings Daniel Koch (Bild). Der ausgebildete Arzt aus dem BAG ist die Ruhe selbst. Bei den Medienkonferenzen hört er sich die Fragen geduldig an und gibt dann professionell und konzis Antwort. Manchmal scheint sein Kopf im etwas zu grossen Anzug zu verschwinden. Er könnte ein Bruder des famosen US-Schauspielers John Malkovich sein und lässt auch mal seinen trockenen Humor aufblitzen. Auf die Frage eines Journalisten, ob er ihm den Konjunktiv erklären könne, den der Pharmakonzern Roche bezüglich neuer Corona-Tests verwendet habe, entgegnet er mit seiner sonoren Stimme: «Nein, ich bin nicht Sprachwissenschaftler, deshalb kann ich ihnen den Konjunktiv nicht erklären.» Die Sequenz ging viral, Koch hat Kultpotenzial. Es würde nicht überraschen, wenn auf Facebook plötzlich Fan-Seiten auftauchten, die fordern: «Koch 4 President».


Dieser Artikel ist auf Anfrage der «Medienwoche» entstanden und wurde dort zuerst publiziert.

Disclaimer: Der Autor hat keine Mandate bei der Bundesverwaltung.

Über unseren Medienkonsum während der Corona-Krise


Bizarre Zeiten!

Von Viren, Immunsystemen und Epidemien verstehe ich nichts. Dafür von Medien. Sie haben während der Corona-Krise einen beträchtlichen Einfluss auf unsere Gesundheit. Darum geht es in diesem Posting.

Das Interesse der Menschen rund um das Thema Corona ist enorm. So schauten am Sonntagabend beispielsweise fast 1,5 Millionen Leute die Hauptausgabe der SRF-«Tagesschau». Das sind mehr als doppelt so viele wie normal. Die NZZ berechnete, dass in den letzten vier Wochen in den Schweizer Medien 18’736 Artikel mit den Schlagworten «Coronavirus» oder Covid-19» erschienen sind. Pro Tag entspricht das 625 Artikeln. (Die Radio- und Fernsehbeiträge wurden dabei nicht eingerechnet.)

Täglich 625 Artikel in Zeitungen und Online-Portalen – das ist erschlagend!

Ich verarbeite etwa 10 oder 15 Prozent dieser Corona-Nachrichtenflut. «Spinnsiech!», denkt ihr jetzt vermutlich. Stimmt, aber ich bin mehr als mein halbes Leben lang von Berufes wegen «heavy user» – offline und online – und deshalb allerhand gewohnt.

Was ich aber schon Mitte Februar machte: Ich stellte alle Push-Nachrichten ab, und ich kann euch nur empfehlen, dasselbe zu tun. Sie suggerieren, uns zu informieren, dabei verzerren sie das Thema und lösen Stress aus.

Was wir vielmehr brauchen, sind Fakten und eine regelmässige Einordnung. Gut eignet sich dafür die Website des Bundesamts für Gesundheit (BAG), die ich hier verlinke, und dessen Facebook-Page. Des Teufels sind die Verschwörungstheoretiker und Youtube-«Doktoren», die wieder aus ihren Löchern hervorgekrochen sind.

Die Medien haben bislang einen guten Job gemacht. Klar, es ist ein Overkill. Klar, es gab auch ein paar Ausreisser und zuweilen beschlich mich der Verdacht, dass das Clickbaiting immer noch eine Rolle spielt. Den Vorwurf, viele relevante Artikel seien hinter einer Bezahlschranke, teile ich nicht. Es gibt genügend Medien, deren Angebote frei zugänglich sind. So berichtet SRF beispielsweise zuverlässig, umfassend und vor allem: einordnend. Wäre vor zwei Jahren die No-Billag-Initiative angenommen worden, bestünde der Service Public jetzt nicht mehr.

Freunde von mir sind zurzeit newssüchtig, sie kleben stundenlang an ihren Geräten. Auf die Dauer ist das gefährlich, weil man ausbrennt. Einmal pro Tag News zu konsumieren würde ausreichen, finde ich. Entscheidend ist, dass das Thema eingeordnet wird. Wer nicht lesen mag: Radio SRF4 News – auf DAB und im Netz verbreitet – liefert 24/7 einen ausgezeichneten Service, Einordnung inklusive.

So, ich gurgle jetzt mit lauwarmem Wasser, was die Schleimhäute geschmeidig hält, und bummle dann zum «Rosengarten». Dort inhaliere ich 15 Minuten lang den prallen Frühling, komme wieder nach Hause, wasche die Hände ausgiebig mit Seife, tausche den Hoodie mit einem neuen Hemd ein, setze Kaffee auf und mich an den grossen Tisch in der Stube. Bevor ich den Deckel des Macbooks aufklappe und zu arbeiten beginne, sage ich laut in den Raum hinein: «Kick the bucket, Corona!» Das klang schon gestern saugut.

Schlaft viel. Bleibt optimistisch. Lacht regelmässig. Fletscht mit den Zähnen. Konsultiert die Website des BAG. Gurgelt mehrmals täglich, wie diese ETH-Professorin rät.