Der Preis für diese Zentralisierung ist zu hoch


Die Würfel sind gefallen
: Die meisten Berner Redaktionen von Radio SRF werden in Zürich zentralisiert. Rund 150 Vollzeitstellen werden verlegt, in der Bundesstadt verbleiben 32. Das kommt einer Verstümmelung des Radiostandorts Bern gleich.

Der Verwaltungsrat der SRG folgte heute dem Antrag der Unternehmensleitung. Ob die Züglete überhaupt einen Spareffekt hat, ist allerdings umstritten. Offiziell wird er mit 5 Millionen Franken beziffert, laut SRG-internen Quellen teilweise nur von 2,6 Mio. Franken. Im Kontext mit dem gesamten Sparpaket reden wir also von 5 bzw. 2,6 Prozent. Das ist lächerlich. Kann das Hochhaus der SRG-Generaldirektion am Stadtrand Berns, das jährlich 4,3 Mio. Franken Miete kostet, nicht abgestossen werden, verpufft der Spareffekt komplett.

Betriebswirtschaftliche Aspekte sind das eine, zentral wären indessen andere gewesen: Föderalismus und Qualitätssicherung. Offensichtlich wollte der Verwaltungsrat aber den neuen Generaldirektor Gilles Marchand nicht desavouieren. Dass die Digitalisierung dezentral nicht vorangetrieben werden könne, ist allerdings ein lausiger Treppenwitz!

Mit seinem Ja zum Zentralisierungsprojekt verliert die SRG einen Teil ihrer Wurzeln, ein Riss geht durch die Trägerschaften. Das Medienhaus der Schweiz büsst viel Kredit ein bei den Leuten, die am 4. März wegen den überzeugenden Radio-Inhalten Nein zu «No Billag» gestimmt hatten.

SRF-Direktor Ruedi Matter und seine Entourage wollten diese Zentralisierung, egal zu welchem Preis. Schon Anfang April war für sie klar, dass es keine andere Option geben kann. Sie haben alles getan, um ihr Projekt durchzubringen. Dass man die Belegschaft am Standort Bern hätte Schritt für Schritt mitnehmen müssen, daran dachte man nicht. Oder es fehlte Matter an Mut und Sozialkompetenz. Der Preis dieser Fehlentscheidung ist hoch, zu hoch: Der Vertrauensverlust ist immens, viele gute Radioleute werden abspringen, eingespielte Sendeteams fallen womöglich auseinander, SRG-Supporter gehen auf Distanz.

Werden die Informations- und Hintergrundsendungen durch die Hektik des Newsrooms in Zürich verflacht, setzt eine gefährliche Erosion ein. Im Zeitalter von Push-Nachrichten, Fake-News und Clickbaiting könnte die SRG ihre Raison d’être verlieren. Die privaten Medienhäuser liefern je länger, je mehr industriell produzierten Journalismus. Die gebührenfinanzierte SRG überlebt langfristig nur, wenn sie sich klar differenziert und in der Sparte Information überzeugt.

Während des langen Kampfs gegen «No Billag» wiederholten wir einen Satz immer wieder: «Was einmal kaputt ist, ist kaputt.» Er hat auch nach dem heutigen Fehlentscheid wieder Gültigkeit. Aber eben: Er ist irreversibel. Wenn in ein paar Jahren die Halbierungsinitiative anrollt, können wir ihn erst recht verfluchen.

P.S.
Weil ich seit Monaten regelmässig mit den selben drei Punkten konfrontiert werde, will ich hier in aller Deutlichkeit etwas festhalten: Lokalpatriotismus ist nicht mein Ding. Und auch die langen Pendlerwege für viele Mitarbeitende der Berner Radiocrew zum Leutschenbach waren für mich kein Argument gegen die Zentralisierung. Dass der Anti-Züri-Effekt bei anderen Leute spielte, ist offensichtlich, nicht aber bei mir. Es geht um das «Big Picture».

Ein Bekenntnis zur Qualität wäre der Anfang einer brauchbaren Strategie

Die Schweiz ist durch und durch föderalistisch strukturiert – ein Segen für das Land. Genauso föderalistisch strukturiert ist die SRG. Seit jeher sendet sie aus allen vier Landesteilen. Dazu kommen beispielsweise in der deutschen Schweiz sechs verschiedene Regionaljournale, die morgens, mittags und abends das Wichtigste aus ihren Regionen thematisieren.

Doch die föderalistische Struktur des Unternehmens ist in Gefahr.

In der heissen Phase des «No-Billag»-Abstimmungskampfs, während der die Leistungen von Radio SRF täglich gelobt wurden, begann eine Arbeitsgruppe der SRG ein Zentralisierungsprojekt zu entwickeln. Es heisst «Bern Ost». Konkret soll die Abteilung Information des Radiostudios Bern nach Zürich ziehen. (Die Grafik gibt Aufschluss, was diese Abteilung umfasst.) Zu Beginn wurde das Projekt mit der Begründung legitimiert, man müsse sparen. Im Verlaufe der letzten Wochen schmolz das Sparpotential von 10 Millionen Franken auf 5 Millionen. (So viel zur Seriosität der Berechnungen.) Ich sprach mit mehreren Immobilienspezialisten. Sie erklärten unisono, dass eine seriöse Berechnung einige Monate Zeit brauche.

Weil «Sparen» nicht mehr glaubwürdig ist, darf jetzt ein neues Zauberwort her: Digitalisierung. Der Bereich «Forschung und Entwicklung» könne nur systematisch vorangetrieben werden, wenn alle unter einem Dach seien, sagte SRF-Direktor Ruedi Matter sinngemäss in einem Interview mit der Zeitung «Der Bund“. Damit hat er indirekt alle SRF-Regionalstudios, die aus Aarau, Luzern, St. Gallen und Chur senden, abgeschossen.

Der «Leutschenbach» ist eine Fernsehfabrik am Stadtrand Zürichs mit mehr als 2000 Angestellten. Wer dort arbeitet, trifft vom frühen Morgen bis am späten Abend nur Journalisten, Regisseurinnen, Cutter, Kameraleute… – er ist eine Art Trabantenstadt. Das Medium Fernsehen ist übermächtig, Online am Wachsen, Radio hat daneben keine Chance.

Dazu drängt sich ein Vergleich auf: Was passiert, wenn man ein paar Orchideen in ein grosses Feld mit Löwenzahn setzt? Zu Beginn fallen die Orchideen auf, in einer zweiten Phase werden sie überwuchert, schliesslich verschwinden sie. Der Löwenzahn ist stärker.

Radio funktioniert nach anderen Kriterien als Fernsehen und online. Entsprechend sollte man vorsichtig sein beim Verschmelzen aller drei Gattungen. Der Preis der Vollkonvergenz wäre eine Verflachung der Information. Genau das, was die starken Marken bei Radio SRF, «Echo der Zeit», «Rendez-vous» (inkl. Tagesgespräch) und «Heute Morgen» so unverwechselbar und wichtig macht, ginge verloren: Einordnung, Vertiefung und Analyse.

Bei Erhebungen holt Radio SRF seit Jahren immer den Spitzenplatz, wenn es um Glaubwürdigkeit und Qualität geht. Der beste Trumpf der SRG ist die Qualität der Radiosendungen. Qualitätssradio wird auch in zehn Jahren noch nachgefragt – linear, als Podcast und in einer Form, die wir heute gar noch nicht kennen. Ein Bekenntnis zur Qualität wäre der Anfang einer brauchbaren Strategie. Es braucht mehr «idée suisse» und weniger Zentralisierung!

Die Vorentscheidung im SRG-Regionalrat und im Verwaltungsrat fällt womöglich bereits im Juni.

Transparenz:
Ich unterstütze die Radiocrew des Studios Bern bei ihrem Kampf gegen die Zentralisierung – pro bono. Und ich wirke als Scharnier zur Hauptstadtregion Schweiz, die heute Mittag vor den Medien ausführte, weshalb Bern ein wichtiger Brückenkopf zwischen beiden grossen Sprachregionen ist.