Weshalb ein Ja zum Medienpaket besser ist


Je näher der Abstimmungstermin
 zum Mediengesetz rückt, desto mehr steigt der Lärmpegel. So brüllten sich im letzten «Club» von SRF drei Protagonisten von Anfang bis am Schluss immer wieder an. Sie erinnerten an Halbstarke im Schulhof, die Moderatorin versagte. Eine bizarre Sendung.

Ich will ein paar Punkte klären.

Zunächst, wo liegt die Wurzel des Problems? In den letzten 14 Jahren sind die Werbeeinnahmen der Zeitungen um 75 Prozent eingebrochen. Das ist dramatisch. Weit mehr als eine Milliarde Franken fliessen inzwischen pro Jahr zu den Tech-Giganten Facebook und Google, ohne dass sie hier Steuern bezahlen würden.

Das Massnahmenpaket zugunsten der Medien stabilisiert die Branche und kostet maximal 151 Millionen Franken pro Jahr. 70 Millionen davon gehen direkt an die Post, weil sie für die Zustellung der Zeitungen sorgt.

Das Medienpaket besteht aus insgesamt neun verschiedenen Teilen. Ausgesprochen wichtig ist, dass der Presserat, aber auch die Aus- und Weiterbildung im Nachrichtenjournalismus gestärkt werden. Darüber wurde im Verlauf des Abstimmungskampfes noch kaum ein Wort verloren.

Es geht bei der Abstimmung vom 13. Februar auch darum, kleine unabhängige Medienhäuser zu stärken, die Zeitungen herausgeben wie das «Bieler Tagblatt», die «Neue Fricktaler Zeitung», «Die Botschaft» (unteres Aaretal), die «Schaffhauser Nachrichten», den «Rheintaler», die zweisprachige «Engadiner Post», den «Corriere del Ticino», den «Walliser Boten», die «Freiburger Nachrichten» oder das «Journal Du Jura».

Diese Titel liefern die mediale Grundversorgung, gedruckt und online, aus der Region, für die Region, unspektakulär und nahe bei den Menschen.

Dass die grössten Medienhäuser ebenfalls profitieren, ist die Kröte, die wir schlucken sollten. Das Modell ist degressiv ausgestaltet, d.h. Zeitungen mit einer grossen Auflage kriegen pro Exemplar weniger Geld als Kleine. Die Kleinen profitieren überproportional von der indirekten Presseförderung. Diese wurde übrigens bereits 1849 von den Freisinnigen im Postgesetz festgeschrieben.

Dass im Sog der «Republik» neue Online-Medien entstehen, ist erfreulich und stärkt die Medienvielfalt. Die Anschubfinanzierung ist auf höchstens 30 Millionen Franken pro Jahr limitiert. Das Geld wird nicht mit der Giesskanne verteilt. Vielmehr ist die Höhe der Unterstützung abhängig von den Einnahmen, die jeder Start-up aus eigener Kraft generiert. Mit einem Ja können sich die neuen Online-Medien, etwa die «Hauptstadt» in Bern, eher etablieren. Ihre direkte Förderung ist auf sieben Jahre beschränkt.

Fazit: Das Massnahmenpaket überzeugt nicht in allen Teilen, aber ein Ja ist besser für die darbenden Medienhäuser und die Menschen ausserhalb der grossen Ballungsräume. Nach einem langen Prozess des Abwägens habe ich mich entschlossen, Ja zu stimmen.

Bei einem Nein gewinnen die Kreise, die jetzt laut «Staatsmedien!» rufen, aber kein Problem haben damit, wenn private Financiers mit einer (verdeckten) politischen Agenda einsteigen. Auf dieser Agenda steht die Halbierungsinitiative aus dem Stall der SVP-Millonarios.

PS:
– Wer beim Abstimmen noch unschlüssig ist: Die Bewegung Courage Civil hat eine neutrale Herleitung zum Thema erarbeitet, die erst am Schluss in eine Empfehlung mündet. Dazu gibt’s dort einige weiterführende Links.
– Ein beachtlicher Teil der Nein-Kampagne wird mit dem Schlagwort «Staatsmedien» bestritten. Es ist ideologisch aufgeladen, beim näheren Hinsehen allerdings irreführend. Matthias Zehnder, auch er ein unabhängiger Beobachter der Medienszene, seziert das Thema. Es sind gut investierte acht Minuten, die es für die Lektüre seiner Analyse braucht.

Auf dem Medienplatz Bern entsteht Einheitsbrei

Der grösste Medienkonzern der Schweiz, die TX Group (bis 2020: Tamedia), will in Bern nun also auch noch die bislang eigenständigen Regionalredaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» komplett verschmelzen. Der identische Inhalt soll in beiden Titeln in ihren altbekannten Layouts verbreitet werden. Der Fusionsprozess beginnt im April nächsten Jahres. Auf dem Medienplatz Bern entsteht damit ein Monopol. Demokratiepolitisch ist das problematisch.

Zunächst ein paar Fakten und Zusammenhänge:

– In den letzten fünf Jahren hat die TX Group (früher Tamedia) einen Reingewinn von 852 Millionen Franken erwirtschaftet und Dividenden in der Höhe von 225 Mio. Franken ausgeschüttet (für die Geschäftsjahre 2015 bis 2019). Das freute die Aktionäre und das Management, welches zum Teil fette Boni erhielt.

– Im Frühling beantragte die TX Group Kurzarbeit. Trotz Kritik im Vorfeld der GV wurde an einer Dividende in derselbe Höhe wie in den Vorjahren festgehalten, auch Boni wurden ausbezahlt. Auf nationaler Ebene ist seit Jahren ein intensives Lobbying für staatliche Unterstützung der grossen Medienhäuser im Gang.

– In den letzten Jahren wurde die ohnehin schon schwach dotierten Regionalredaktionen von «Bund» und «Berner Zeitung» weiter schleichend ausgedünnt (z.B. einige Abgänge nicht ersetzt). Schon im Sommer 2017 hatte ich vor der kompletten Fusion gewarnt.

– Eine Befragung von 4000 Abonnentinnen und Abonnenten, die wir 2009 seitens des Komitees «Rettet den Bund»  durchgeführt hatten, zeigte auf, dass das Ressort Bern für sie am wichtigsten ist (zusammen mit dem Ressort Inland). Die Konzernspitze foutierte sich um diesen klaren Befund.

– Dass es sich lohnt, in Personal und Qualität zu investieren zeigt das Beispiel der «Zeit». Die Wochenzeitung aus Hamburg hat heute eine grössere Auflage als vor 20 Jahren. In unserem Land konnte dieser Qualitätstitel seine Abonnentenzahl in den letzten zehn Jahren massiv erhöhen – auch dank den drei Schweiz-Seiten pro Ausgabe. Guter Journalismus ist gefragt. Er darf etwas kosten und rentiert.

– Vor vier Wochen gratulierte Verwaltungsratspräsident Pietro Supino in einem Gastbeitrag dem «Bund» zu seinem 170-Jahr-Jubiläum. Er sei stolz, diesen Titel in seinem Portfolio zu haben. Zugleich drohte er der Politik: Wenn das Medienförderungsgesetz nicht in seinem Sinne ausgestaltet werde, sei der Fortbestand des «Berner Modells» (beide Zeitungen werden unter einem Dach herausgegeben, bleiben aber publizistisch unabhängig) nicht mehr gesichert.

Meine Einschätzung: Die beinharten Medienmanager interessieren sich nicht für Publizistik. Es geht ihnen nur um Rendite. Sie glauben daran, dass diese mit knalligen Storys und vielen Clicks eingefahren werden. Unternehmungen sollen Gewinn machen, keine Frage. Allerdings zweifle ich daran, dass Journalismus gleich produziert und verkauft werden sollte wie Billig-Hundefutter.

Mit der Vollfusion von «Bund» und «Berner Zeitung» entsteht ein Einheitsbrei. Ob das die Leserinnen und Leser goutieren, ist offen. Der «Bund» bedient ein urbanes Publikum, die «Berner Zeitung» ein ländliches.

Ich bin nicht Gewerkschafter, sondern ein besorgter Staatsbürger, der seine Augen nicht vor der Realität verschliesst: Im Mediengeschäft herrscht ein intensiver Verdrängungskampf, die Auflagen der gedruckten Zeitungen sinken, die Werbeeinnahmen brechen weg, Google, Facebook und Amazon machen den grossen Reibach. Während Jahrzehnten bildeten die Rubrikeninserate für Immobilien, Autos, Stellen, käufliche und ewige Liebe das ökonomische Rückgrat für die Zeitungen. Inzwischen sind sie fast komplett ins Netz abgewandert, wo sie weniger abwerfen.

Nur: «Berner Zeitung» und «Bund» waren in den letzten Jahren wie alle anderen Titel im Tamedia-Portfolio profitabel, die Renditen gemäss Medienökonomen höher als während den goldenen Zeiten der Zeitungen ohne Internet. Einen Teil der Gewinne hätte man in die beiden Regionalredaktionen investieren können – nein, müssen! Stattdessen wurden beim «Bund» immer weiter Stellenprozente reduziert. Und bei der «Berner Zeitung» fiel die Wochenendbeilage «Zeitpunkt», während vieler Jahre ein leuchtendes Beispiel für Qualitätsjournalismus, dem Sparhammer zum Opfer.

Der Ausblick: Im Grossraum Bern mit seinen rund 350’000 Menschen hat es Platz für ein neues Online-Portal, das guten unabhängigen Journalismus bietet. Projekte in anderen Ballungsräumen zeigen, dass es durchaus Optionen gibt, etwa «Tsüri» (Zürich), «bajour» (Basel), «Die Ostschweiz» (St. Gallen) oder «ZentralPlus» (Zentralschweiz). Und auch die «Republik» kann es schaffen.

Was es jetzt braucht, sind Leute mit Knowhow, Zeit und Kapital, die ein neues Kapitel Berner Mediengeschichte schreiben wollen. Wenn es gewünscht sein sollte, koordiniere ich die ersten Schritte dafür. Vom Komitee «Rettet den Bund» her haben wir viele Adressen zur Verfügung. Das ist ein Start.

Nachtrag:
Eine ausgesprochen solide Zusammenfassung zu den Herausforderungen auf dem Medienplatz liefert Nick Lüthi in der «Medienwoche».

– Was ich Radio SRF4 News zu dieser Fusion sagte – das Interview von Medienredaktor Salvador Atasoy auf Soundcloud
(30. Oktober 2020)

– Wer beim neuen Projekt mitwirken will: Meine E-Mail-Adresse lautet: mark.balsiger@border-crossing.ch

Jetzt hilft nur noch der Druck der Öffentlichkeit

Wir leben im Zeitalter von Fake News, Push-Nachrichten und Glarner-Funiciello-Ringkämpfen. Noch haben wir Alternativen zu schnell hingeworfenen News und belanglosen Storys. Geht es um Einordnung, Hintergrund und Analyse sind Sendungen wie «Echo der Zeit», «Rendez-vous» und «Heute Morgen» von Radio SRF zuverlässige Anker im Sturm. Sie überzeugen durch Qualität und erreichen die Massen – linear, zunehmend auch mit Podcasts.

Produziert werden diese Sendungen, aber auch die Nachrichten und SRF4 News seit jeher in Bern, die Fachredaktionen Wirtschaft, Inland und Ausland sind dort angesiedelt, ebenso die Korrespondentinnen und Korrespondenten. Das hat für Kontinuität und eine Bündelung an Know-how gesorgt. Und es brachte eine Kultur hervor, die unbezahlbar ist.

Doch die SRG- und SRF-Spitze will nun praktisch die gesamte Abteilung Information von Radio SRF von Bern nach Zürich verlegen. Betroffen wären rund 150 Vollzeitstellen (siehe Grafik unten). Zunächst wurde das Zentralisierungsprojekt als Sparmassnahme angepriesen. Als der Spareffekt schon bald auf drei bis maximal fünf Prozent des gesamten Sparprogramms zusammensackte, musste ein neues Zauberwort her: Digitalisierung. Der Bereich «Forschung und Entwicklung» könne nur systematisch vorangetrieben werden, wenn alle Beteiligten unter einem Dach seien, erklärte SRF-Direktor Ruedi Matter in einem Interview. Das Gegenteil trifft zu: Gerade die Digitalisierung eröffnet Möglichkeiten, um dezentral zu arbeiten. In allen Branchen. (Nebenbei: Die Renovation und der Ausbau des Radiostudios am jetzigen Standort kostete in den letzten Jahren insgesamt 30 Millionen Franken. Wird die Zentralisierung durchgeboxt, soll die Generaldirektion in die Radio-Liegenschaft an der Schwarztorstrasse umziehen. Sie müsste also erneut umgebaut werden, was erneut viel Geld kostete.)

Was bedeutete die Zentralisierung im Leutschenbach?

An einem Pult im Newsroom würde entschieden, wer welche Themen wie aufzubereiten hat. Die Folge wäre Gleichschaltung, der Wettbewerb der Redaktionen und die Differenzierung der Gefässe fallen weg. Die Beiträge werden in Einzelteile zerlegt und von anderen Journalisten über die verschiedenen Vektoren, also TV, Radio und Online, ausgespielt. Kurzfutter überall. Der Autor bzw. die Autorin des Beitrags hat keinen Einfluss mehr auf die weitere Verwertung ebendieses Beitrags. Das ist die Industrialisierung des Journalismus; sie macht ihn kaputt.

Die Bauarbeiten für einen Newsroom im Leutschenbach sind bereits im Gang. Damit ich hier nicht falsch verstanden werde: Ja, SRF soll einen Newsroom betreiben – für die schnelle Information! Egal auf welchem Vektor. Aber das reicht nicht. Die SRG-Sender können sich auf die Dauer nur halten, wenn sie auf Einordnung, Hintergrund und Analyse fokussieren. Dafür bezahlen die Leute gerne Empfangsgebühren. Das Radio ist prädestiniert dafür, TV hingegen bringt primär Themen, die sich bebildern lassen, Sport und Unterhaltung. Online wiederum ist stark auf Videosequenzen angewiesen, zudem sind diesem Vektor enge Grenzen gesetzt, was die Länge der Texte betrifft.

Das Bedürfnis nach fundierter Berichterstattung wird wachsen, zumal die privaten Medienhäuser auf Clickbaiting setzen und kein festes Korrespondentennetz mehr in den Regionen und im Ausland haben. Investigativer Journalismus wird noch wichtiger. Doch wer kann und will ihn ab dem Jahr 2025 noch bieten? Die SRG? Die WOZ? Die Republik, wenn sie überlebt? Hoffentlich die NZZ. Und sonst?

Stille.

Relevante Radiobeiträge kommen linear, als Podcast (also on demand) oder auf eine Art, die wir heute noch gar nicht kennen. Neue Formen werden entstehen, Radio ist dynamisch und kostengünstig.

Überzeugende Informations- und Hintergrundsendungen am Radio bedingen Distanz zum Newsroom und damit auch zu Zürich-Leutschenbach. Sonst droht die Verflachung des Angebots, starke Marken wie «Heute Morgen», «Rendez-vous» und «Echo der Zeit» verlören an Bedeutung, und damit würde eine unheilvolle Erosion einsetzen. Newsroom und Hintergrund – das sind zwei Kulturen. Unter einem Dach passen sie nicht zusammen, das Hintergründige würde verwässert.

Aus diesem Grund muss dieses Zentralisierungsprojekt jetzt endlich gestoppt werden. Schluss mit diesem Unfug à la McKinsey! Anders als bei «No Billag» können wir nicht mit einer Volksabstimmung kraftvoll «Njet» sagen. Hintergrundgespräche und politischer Druck haben in den letzten Monaten nicht zu einem Übungsabbruch geführt. Also hilft nur noch der Druck der Öffentlichkeit. Und damit liegt der Ball bei dir/Ihnen! Es geht darum, jetzt Farbe zu bekennen. Auf der Strasse.

Am Donnerstag, 30. August, 19 Uhr, wird auf dem Bundesplatz eine Kundgebung für den Radiostandort Bern stattfinden. Dabei geht es um viel mehr als den Standort von Radio SRF in Bern. Es geht um Föderalismus. Um Qualität. Um Demokratie. Und um den Medienplatz Schweiz.

Selbst wenn an jenem Abend andere Alternativen locken: Kommet zahlreich!

P.S.
Die Crew des Radiostudios Bern hat im Verlauf des Sommers ein Papier erarbeitet, das aufzeigt, wie ein Audio-Kompetenzzentrum in Bern aufgebaut werden könnte – Leseempfehlung.


Zur Grafik: Wie die Abteilung Information von Radio SRF in Bern heute aussieht, und wie sie sich nach der Zentralisierung präsentieren würde:

Einheitsbrei ist nicht gesund für unsere Demokratie


In den letzten 15 Jahren
wurde die Schweizer Medienlandschaft komplett umgepflügt. Am Werk war ein Deutscher, unsentimental und durchaus charmant: Martin Kall. Der damalige CEO der Tamedia durchleuchtete mit seinen „Kall Boys“ forsch das Portfolio, stiess unrentable Titel ab, kaufte andere hinzu, bombte Konkurrenten aus dem Geschäft (wie zum Beispiel die Gratiszeitung „.ch“ von Sacha Wigdorovits) und verordnete rigorose Sparübungen. Zu einem überrissenen Preis sicherte er sich mit der Übernahme der Espace Media Group die Lufthoheit über Bern (2007) und erstand die Edipresse Groupe in der französischen Schweiz (2011). Die Knacknuss bei Tamedia aber bleibt: Der Spagat zwischen bezahltem Inhalt (gedruckte Zeitungen, News-Portal Newsnet) und Gratiscontent (20min.ch) macht strategisch keinen Sinn.

Nach dem Umpflügen hat nun das Bestellen der Felder begonnen. Gestern Mittag verkündete Tamedia in einem schönfärberischen Communiqué, was in Zukunft angebaut wird: Hirse – überall. Von Winterthur bis Interlaken bzw. vom „Landboten“ bis zum „Berner Oberländer“ steht ab nächstem Jahr in allen Tageszeitungen, die Tamedia kontrolliert, dasselbe. Die Ressorts Ausland, Inland, Wirtschaft, Gesellschaft/Kultur und Sport werden zusammengelegt. Es gibt Hirsebrei in Schälchen, die noch unterschiedliche Farben haben. Gerade auf dem Platz Bern mit „Bund“ und „Berner Zeitung“ ist das nicht gesund für unsere Demokratie.

Die Pressevielfalt ist damit Geschichte, der Grossgrundbesitzer kontrolliert das Terrain vom Zürcher Weinland bis Genf und hat eine enorme Medienmacht, die Wettbewerbskommission schaut zu.

Doch der Einheitsbrei ist noch das kleinste Problem. Gravierender ist, was Markus Somm, Vizepräsident des Verbands Schweizer Medien und Mitbesitzer der „Basler Zeitung“, auf einem Podium sagte: „Bis in 10, spätestens bis in 20 Jahren haben sich alle Verleger aus dem Journalismus verabschiedet, weil es kein Geschäft mehr ist.“ Die Medienmanager glauben nicht mehr an journalistische Qualität. Sie foutieren sich um Publizistik und bereiten stattdessen den entscheidenden Kampf in der nächsten Geländekammer vor. Nachdem sie in den Neunzigerjahren die Entwicklungen mit diesem Internet verschlafen hatten und danach auf Gratiskultur setzten, geht es jetzt um die Frage, wer im kommerziellen Digitalgeschäft überlebt. Artikel aus der Newsfabrik haben nur eine Aufgabe: Sie sollen die Surfer anlocken.

Das News-Portal Newsnet, das von Tages-Anzeiger, Berner Zeitung, Bund, 24heures, Tribune de Genève usw. gemeinsam bespielt wird, zeigt, wie das funktioniert. Was die jungen Journalistinnen und Journalisten dort abliefern – abliefern müssen! –, sind schnell geschriebene Storys. Morgens um 9 Uhr fassen sie in der Newsfabrik ihr Thema, um 11.45 Uhr muss ihr Text bereits online sein. Dann, wenn Hunderttausende von uns hungrig zu den Take-aways strömen. Mit der linken Hand mampfen wir das Sandwich, in der rechten Hand bedienen wir unser Sklavengrätli und konsumieren die schnell hingeworfenen Storys – Stilblüten, Tipp- und Interpunktionsfehler inklusive. Fastfood.

Relevant sind diese Artikel nicht. Tamedia ist das egal, es geht nur um etwas: Traffic. Er bringt Geld ein, wenn wir beim Surfen andere Angebote und Werbung anklicken.

Was die Medienmanager verdrängt haben: Qualität ist weiterhin gefragt. Wird sie geliefert, gedruckt oder online, sind viele Leute bereit, dafür zu bezahlen. Ein gutes Beispiel ist die „Die Zeit“ aus Hamburg. Sie hat heute eine grössere Auflage als vor 20 Jahren. In unserem Land konnte dieser Qualitätstitel seine Abonnentenzahl seit 2008 massiv erhöhen – auch dank drei Schweiz-Seiten pro Ausgabe. Qualitätsjournalismus ist gefragt – und er rentiert. (Wie er objektiv gemessen werden soll, ist allerdings umstritten.)

Tamedia hat in den letzten zehn Jahren über 500 Millionen Franken an Aktionäre und Kaderleute ausgeschüttet. Wäre nur ein kleiner Teil davon in Qualitätsjournalismus geflossen, stünden die einzelnen Titel heute besser da.

>>> In den letzten 24 Stunden habe ich mit einigen betroffenen Journalistinnen und Journalisten gesprochen. Sie schlingern zwischen Hoffen und Bangen. Ich finde, dass man auf dem Platz Bern das Schicksal in die eigenen Hände nehmen sollte, die Zeit reif ist für ein neues Medium. Wie wärs mit einer „Republik“ ohne Linksdrall? Wer Knowhow, Kapital, Zeit und Mut hat, soll sich doch bei mir melden. Ich kann das tun, was ich auch beruflich regelmässig tue: Akteure zusammenführen.

„Man sollte nichts unversucht lassen.”
Wolfgang Hildesheimer


Dieser Text wurde zuerst auf Persönlich, dem Online-Portal der Kommunikationswirtschaft, veröffentlicht.


Andere Meinungen zum Thema:

Mehr Feuerkraft, weniger Vielfalt (NZZ, Rainer Stadler)
Die Scheinvielfalt verwalten (Medienwoche, Nick Lüthi)
“Einige Leser wissen journalistische Vielfalt nicht zu schätzen”
(Watson, Interview mit Publistikprofessor Otfried Jarren)

Tamedias unmöglicher Spagat (Weltwoche, Karl Lüönd, 31. August, PDF)