Mein fünftes Baby kommt

Das Tempo, das wir anschlagen, ist rasant. Für nichts nehmen wir uns mehr richtig Zeit. Ausgedehnte Velotouren sind das Gegenmodell: sie entschleunigen und reduzieren das Leben auf das Wesentliche. Mich machen sie glücklich.

Einen Sommer lang fuhr ich ostwärts – bis in den Iran. Diese Reise gibt es jetzt zwischen zwei Buchdeckeln. Du kannst mitfahren, mitfiebern und dich hoffentlich mit mir freuen – schweissfrei und in deinem Tempo.

Mein fünftes Buch ist ein Liebhaberprojekt. Eine Leseprobe von «Immer weiter ostwärts» und das Bestellformular gibt es auf der Website meiner Firma.

Mein erster Rausch – wegen Tina

Als Teenager hatte ich Pickel auf der Stirne, Flausen im Kopf, Bäckerhosen im 7/8-Schnitt und eine grosse Liebe: Musik. Das Geld, das ich als Zeitungsverträger verdiente, reinvestierte ich zu praktisch 100 Prozent in Langspielplatten. (Für Leute der Generation Z: Das sind Kuhfladen-grosse schwarze flache Scheiben, die beim Abspielen x-fach besser klingen als dieselben Songs über Spotify & Co.) Samstag für Samstag pilgerte ich nach Brugg zu «Fairplay Records», und Co-Inhaber René Wermelinger (selig) wusste genau, welche «heissen Scheiben» er mir vorspielen musste.

Er verdiente gutes Geld mit mir, und ich habe dank ihm eine grandiose Sammlung. Nie würde ich mich auch nur von einer dieser Platten trennen!

Als mir René an einem Frühlingstag im Jahr 1984 «Private Dancer» von Tina Turner auflegt, kippe ich nicht vom Hocker. Erst bei «I might have been queen» bin ich hin und weg. Begeistert sage ich: «Einpacken!», 19 Franken wechseln den Besitzer und ich radle heimwärts. In meinem Zimmer tanzt die Nadel über die LP, und diese wird beim Hören jedes Mal besser.

Erhebungen kommen immer wieder zum selben Schluss: Die Musik, die uns im Alter zwischen 15 und 18 Jahren gefiel, lässt uns ein ganzes Leben lang nicht mehr los. Sie prägt.

Ein knappes Jahr später ist Tina Turner auf Europatournee. Ich fahre mit viel Bargeld in die ferne Stadt, um im Vorverkauf Tickets zu ergattern. Das Internet gab es damals noch nicht, und ich erinnere mich, wie ich einen kleinen Stapel glänzendes Papier wie eine Trophäe nach Hause brachte: 15 Eintrittskarten. (Eine kostete damals 24 Franken.)

Am 8. März 1985 fährt unsere bunt zusammengewürfelte Truppe mit dem Zug nach Oerlikon, und wir drücken uns mit 10’000 anderen Fans vorfreudig ins Hallenstadion. Um acht Uhr geht das Licht aus, Bryan Adams stürmt auf die Bühne und macht vom ersten Moment an klar, dass er richtig abdrücken will. Das Publikum ist flugs auf den Beinen und lässt sich anstecken, die Party geht los. Wer lange Haare hat, lässt sie durch die Luft wirbeln.

So viel Charisma, so viel Energie

Kaum ist Tina Turner auf der Bühne, geraten die Fans im ausverkauften Stadion erst recht aus dem Häuschen. Die Band ist stark, das Set ausgezeichnet, die Energie, die die Sängerin über die ganze Show mobilisieren kann, ist enorm. Tina zieht uns in ihren Bann mit ihrem Charisma und ihrer Stimme, die mal roh, mal soulig klingt. Am besten finde ich ihre Covers von Al Green, CCR, Iggy Pop oder den Beatles. Sie gibt ihnen ihre eigene Prägung. Was den Unterschied zu fast allen anderen Künstlerinnen ausmacht, ist ihre Präsenz.

Ich hüpfe während des ganzen Konzerts im Takt mit, reisse immer wieder die Arme in die Höhe und fühle mich zum ersten Mal in meinem Leben komplett berauscht, und das ohne einen Schluck Alkohol getrunken zu haben. «Rock is a drug» wussten Spliff schon 1980 in ihrer grandiosen «The Spliff Radio Show».

Aufgekratzt taumeln wir durch die Strassen zum Bahnhof und singen die Songs nochmals mit heiserer Stimme. Das klang zweifellos ziemlich falsch, aber: in dieser Nacht gehörte uns die ganze Welt.

 

PS:
Gestern wurde Tina Turner im Alter von 83 Jahren abberufen. Ich zündete eine Kerze an und hörte den ganzen Abend die Songs ihrer langen Karriere. Das beste Album ist für mich «Live in Paris» aus dem Jahr 1971, als ihr damaliger Mann, Ike Turner, noch mitgewirkt hatte. Er war zwar ein übler Kerl, wie wir seit der Biografie «I, Tina» (1986) wissen, aber die richtig guten Songs hat er geschrieben.

Foto: Getty Images

Kleine Geschenke zwischen zwei Buchdeckeln

Als im Frühling die Corona-Welle von Süden her über die Schweiz rollte, entschleunigte sich das Leben schlagartig: Kleintheater, Beizen, Kinos und Buchhandlungen waren von einem Tag auf den anderen geschlossen – bonjour tristesse. Wie viele andere Leute sass ich zu Hause und kämpfte gegen den Blues. Ich wollte mich auf etwas Positives konzentrieren, und so entstand das Projekt zu diesem Buch. Es ging mir um fair bezahlte Arbeit für Kreative aus den Bereichen Grafik, Illustration und Lektorat, sie, die fast alle Aufträge verloren hatten. Das Projekt beseelte mich und drängte die lauten Schlagzeilen über die Pandemie in den Hintergrund.

Von Anfang an klar war, dass es ein süffiges Buch werden sollte. Aber auch eines, das Denkanstösse gibt, genauso wie die Corona-Krise uns Denkanstösse lieferte, sofern wir es zuliessen. Mit diesen Vorstellungen im Kopf fragte ich rund zwei Dutzend Leute an, ob sie für das neue Pendlerbuch eine Geschichte beisteuern möchten – Menschen, deren Texte ich mag, seien diese zwischen Buchdeckeln, als Kolumnen oder Reportagen, in Blogs, als Facebook-Postings oder Tweets verfasst.

Einige dieser Autorinnen und Autoren kenne ich schon ein halbes Leben lang, andere habe ich erst vor kurzem auf meinen Streifzügen durch die Welt der Texte entdeckt. Fast alle haben zugesagt, und während der «Lockdown»-Phase konnte ich mich 23 Mal über die Geschichten freuen, die in meine Mailbox purzelten. Es waren kleine Geschenke, und diese kann ich nun, gebunden zu einem schlanken und grandios illustrierten Buch, weitergeben. Vorgestern ist es aus der Druckerei eingetroffen, es riecht gut und beim Umblättern der Seiten raschelt es leise.

Hier können Sie das Buch – oder mehrere Exemplare – online bestellen und – hach, wie praktisch! – auch gleich bezahlen. Es kostet 28 Franken.